EU schließt Luftraum für Flugzeuge aus Belarus - Minsk protestiert Von Ulf Mauder und Ansgar Haase, dpa

06.06.2021 11:48

Nach der von belarussischen Behörden erzwungenen Landung eines
Passagierflugzeugs aus der EU zeigt die Union, wie harte Sanktionen
erlassen werden. Für Maschinen aus dem Land ist der Luftraum der EU
ab sofort tabu. Und dabei wird es nicht bleiben. Minsk droht.

Minsk/Brüssel (dpa) - Zum Ärger des Machtapparats in Belarus drückt
die EU ihre bisher schärfsten Sanktionen gegen die autoritär geführte

Ex-Sowjetrepublik durch. Belarussische Fluggesellschaften dürfen seit
Samstag nicht mehr in den Luftraum der EU fliegen, Starts und
Landungen in EU-Staaten sind verboten. Mit der Strafmaßnahme reagiert
die EU darauf, dass der belarussische Machthaber Alexander
Lukaschenko vor rund zwei Wochen eine Ryanair-Passagiermaschine auf
dem Weg von Athen nach Vilnius zur Zwischenlandung in Minsk zwang. Er
ließ danach den an Bord reisenden regierungskritischen Blogger Roman
Protassewitsch und seine Freundin Sofia Sapega festnehmen. Beide
sitzen in Haft.

In der belarussischen Hauptstadt Minsk protestierte die Regierung
gegen die Entscheidung der EU und kündigte Gegenmaßnahmen sowie eine
Klage auf Schadenersatz an. «Ein Komplex an Maßnahmen ist fertig als
Antwort auf die Sanktionen», sagte Regierungschef Roman Golowtschenko
am Samstagabend im Staatsfernsehsender Belarus-1. Belarus könne
künftig komplett auf westliche Waren verzichten und sich nach Asien
orientieren. Zugleich äußerte Golowtschenko die Hoffnung, dass es
keine weiteren Sanktionen des Westens geben werde.

Behörden in Minsk sprachen von einer illegalen «Luftblockade» der EU

gegen Belarus. Unter Umgehung internationaler Verträge werde die
belarussische Fluggesellschaft Belavia «erstickt». «Diese Sanktionen

sind eine gewaltsame Übernahme des Marktes und des Geschäfts», sagte

der Direktor der Luftfahrtabteilung des Verkehrsministeriums, Artjom
Sikorski, dem Staatsfernsehsender ONT in Minsk. Belavia habe nichts
zu tun mit der Landung des Ryanair-Flugzeugs. Das Staatsunternehmen
hatte angekündigt, Mitarbeiter zu entlassen.

Für Flugreisende bedeutet der EU-Beschluss Umwege etwa über Russland.
In Deutschland waren von dem Flugverbot Belavia-Verbindungen nach
Frankfurt, Berlin, Hannover und München betroffen.

In dem am Freitag gefassten Sanktionsbeschluss der EU gegen Belarus
heißt es, die Zwangslandung mache die Unzuverlässigkeit der
belarussischen Luftfahrtbehörden deutlich und stelle einen weiteren
Schritt zur Repression der Zivilgesellschaft und der demokratischen
Opposition in Belarus dar. Unter Verweis auf eine von Belarus
behauptete Bombendrohung gegen die Ryanair-Maschine ist von
gefälschten Beweisen die Rede. Die Landung soll bereits eingeleitet
worden sein, als eine per Mail am 23. Mai abgesetzte Bombendrohung
noch gar nicht vorlag. Die Mail ging erst später ein.

EU-Ratspräsident Charles Michel teilte mit, dass weitere
Strafmaßnahmen schnell folgen würden. Nach einer Einigung der Staats-
und Regierungschefs vom 24. Mai werden weitere Wirtschaftssanktionen
sowie Strafmaßnahmen gegen Personen und Einrichtungen vorbereitet.
Nach Angaben von Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) könnte bei den
Strafmaßnahmen zum Beispiel die Kali- und Phosphatindustrie ins
Visier genommen werden. Dort gibt es wie etwa auch bei der
Herstellung von Ölprodukten starke belarussische Staatsunternehmen.

Einigkeit besteht in der EU darüber, dass Branchen oder Unternehmen
ausgewählt werden sollen, mit denen die Staatsführung möglichst hart

und die Bevölkerung möglichst wenig getroffen werde. Mit den
Sanktionen soll der Druck auf Lukaschenko weiter erhöht werden.

In Belarus gibt es seit der Präsidentenwahl am 9. August vergangenen
Jahres Proteste gegen Lukaschenko, der bereits seit fast 27 Jahren an
der Macht ist. Auslöser sind Vorwürfe der Fälschung der Wahl, nach
der sich Lukaschenko mit 80,1 Prozent der Stimmen zum Sieger hatte
erklären lassen. Bei den Protesten gab es bereits mehrere Tote,
Hunderte Verletzte und Tausende Festnahmen. Menschenrechtler
kritisieren Folter in den belarussischen Gefängnissen.

Groß ist die Sorge vor allem um den nach der Ryanair-Landung
inhaftierten Protassewitsch. Der 26-Jährige hatte in einem am
Donnerstag von den Staatsmedien in Belarus wohl unter Druck
entstandenen Interview gesagt, dass er in der Opposition im Ausland
gegen Lukaschenko gearbeitet und Massenproteste organisiert habe.
Dabei nannte er zur Freude der Staatspropaganda zahlreiche Namen und
mutmaßliche Details zur Arbeit der Lukaschenko-Gegner.

Womöglich sind ihm die Angaben diktiert worden. Betroffene und
Familienmitglieder meinten, die Aussagen des Bloggers seien nach
Folter entstanden. Der von Protassewitsch auch in dem Interview
genannte prominente Politologe Artjom Schraibman teilte am Samstag
mit, dass er aus Angst vor einer Inhaftierung des Land verlassen
habe. Zugleich wies er zurück, für die Opposition gearbeitet zu
haben. Protassewitsch sei eine «Geisel» Lukaschenkos, die für ihre
Aussagen nicht verantwortlich zu machen sei, sagte Schraibman.

Belarussische Staatsmedien berichteten, dass Ermittler aus dem
prorussischem Separatistengebiet Luhansk in der Ostukraine auf dem
Weg nach Minsk seien, um Protassewitsch zu vernehmen. Lukaschenko
hatte ihn als «Terroristen» bezeichnet und ihm vorgeworfen, im Krieg
im Donbass als Kämpfer auf der Seite ukrainischer Truppen im Gebiet
Luhansk zahlreiche Menschen getötet zu haben. Deshalb wollten die
Vertreter der Separatistengebiete ihn nun vernehmen, hieß es.
Protassewitsch fürchtet um sein Leben. Seine Mutter Natalja hatte
gesagt, ihr Sohn sei als Journalist im Donbass gewesen.

Unter den mehr als 400 politischen Gefangenen in Belarus ist eine
Vielzahl prominenter Oppositioneller, darunter der frühere Bankier
Viktor Babariko und der Blogger Sergej Tichanowski. Sie wollten bei
der Präsidentenwahl gegen Lukaschenko antreten, waren aber davor
inhaftiert worden. Die Opposition sieht Swetlana Tichanowskaja, die
in der EU im Exil lebt und für ihren inhaftierten Mann gegen
Lukaschenko angetreten war, als wahre Siegerin der Abstimmung.

Tichanowskaja bezeichnete das Interview mit Protassewitsch ebenfalls
als Ergebnis von Folter. Sie traf sich am Samstag erneut in Polen mit
seinen Eltern Natalja und Dmitri Protassewitsch. Die 38-Jährige
forderte wiederholt die Freilassung aller politischen Gefangenen,
darunter auch ihre Mitstreiterin im Wahlkampf, Maria Kolesnikowa,
eine ehemalige Kulturmanagerin aus Stuttgart. Dmitri Protassewitsch
sagte: «Wir werden die Befreiung aller Gefangenen erreichen.»