EU-Ratspräsident sieht deutsche Forderung nach Aus für Veto skeptisch

08.06.2021 07:01

Brüssel (dpa) - EU-Ratspräsident Charles Michel sieht die deutschen
Forderungen nach einer Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips bei
außenpolitischen Entscheidungen der Europäischen Union skeptisch.
Seine Erfahrung sei, dass man dann einen starken Einfluss in der Welt
habe, wenn man geschlossen zusammenstehe und Entscheidungen treffe,
die von den Mitgliedstaaten einstimmig unterstützt werden, sagte der
frühere belgische Regierungschef in einem Gespräch mit der Deutschen
Presse-Agentur und anderen internationalen Nachrichtenagenturen in
Brüssel. Bevor man beschließe, das Einstimmigkeitsprinzip aufzugeben,
sollte man genau nachdenken. «Ich bin vorsichtig», sagte Michel.

Der deutsche Außenminister Heiko Maas hatte sich zuvor erneut
eindringlich für die Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips bei
außenpolitischen Entscheidungen der EU ausgesprochen. «Wir können uns

nicht länger in Geiselhaft nehmen lassen von denjenigen, die die
Außenpolitik durch ihre Vetos lähmen», sagte der Politiker am Montag

bei einer Botschafterkonferenz in Berlin. Wer das tue, spiele über
kurz oder lang mit dem Zusammenhalt Europas. «Das Veto muss weg»,
betonte Maas - auch wenn das bedeute, dass Deutschland dann auch mal
selbst überstimmt werden könne.

Vor den Äußerungen von Maas hatte Ungarn zum wiederholten Male
verhindert, dass die EU die Wahlrechtsreform in der chinesischen
Sonderverwaltungsregion Hongkong mit einer gemeinsamen Erklärung
verurteilt. Davor blockierte die Regierung in Budapest zudem eine
gemeinsame Positionierung zur Eskalation des Konflikts zwischen
Israel und Palästinensern. Als Grund für die Vetos gilt in EU-Kreisen
das Bestreben Ungarns, Spannungen mit China und Israel zu vermeiden.
Zu beiden Ländern unterhält die Regierung von Ministerpräsident
Viktor Orban enge Beziehungen.

Als Beispiel für die starke Wirkung von einstimmigen Entscheidungen
der EU nannte Michel den Beschluss, die EU bis 2050 klimaneutral zu
machen. Damit habe man ein sehr starkes Signal an die Bürger und
Unternehmen in der EU, aber auch an den Rest der Welt gesendet. Weil
man vereint gewesen sei, habe man dann in den nächsten Monaten auch
andere wichtige Länder beeinflussen können, die sich dem
ambitionierten Ziel dann angeschlossen hätten.

Zugleich betonte der Belgier, noch keine abschließende Meinung zu
haben. Er verwies darauf, dass über die Effizienz der
EU-Institutionen derzeit bei der sogenannten Konferenz zur Zukunft
Europas debattiert wird. Vor deren Abschlussbericht, der im nächsten
Jahr erwartet wird, wolle er keine zu starken Meinungen äußern,
betonte Michel.