Debatte um Veto-Recht: EU-Ratschef sieht deutschen Vorstoß skeptisch

08.06.2021 14:42

«Das Veto muss weg»: Mit klaren Worten spricht sich der deutsche
Außenminister für eine Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips bei
außenpolitischen Entscheidungen der EU aus. Zumindest bei einem
EU-Spitzenpolitiker hält sich die Begeisterung allerdings in Grenzen.

Brüssel (dpa) - Die Forderungen der Bundesregierung nach einer
Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips bei außenpolitischen
Entscheidungen der Europäischen Union sorgen in Brüssel für
kontroverse Diskussionen. EU-Ratspräsident Charles Michel äußerte
sich nach einem neuen Vorstoß von Außenminister Heiko Maas (SPD)
skeptisch und warnte vor möglichen negativen Konsequenzen. Aus der
größten Fraktion im Europaparlament kam hingegen Unterstützung.

Wenn die EU globale Entwicklungen im Sinne der Europäer beeinflussen
wolle, müsse sie durchschlagsfähiger werden, kommentierte
EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) am Dienstag. Dafür sei unter
anderem notwendig, vom Einstimmigkeitsprinzip in der Außenpolitik
wegzukommen.

EU-Ratschef Michel betonte dagegen, seine Erfahrung sei, dass man
dann einen starken Einfluss in der Welt habe, wenn man geschlossen
zusammenstehe und Entscheidungen treffe, die von den Mitgliedstaaten
einstimmig unterstützt werden. Bevor man beschließe, das
Einstimmigkeitsprinzip aufzugeben, sollte man genau nachdenken.

Bundesaußenminister Maas hatte sich zuvor erneut eindringlich für die
Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips bei außenpolitischen
Entscheidungen der EU ausgesprochen. «Wir können uns nicht länger in

Geiselhaft nehmen lassen von denjenigen, die die Außenpolitik durch
ihre Vetos lähmen», sagte der Politiker am Montag bei einer
Botschafterkonferenz in Berlin. Wer das tue, spiele über kurz oder
lang mit dem Zusammenhalt Europas. «Das Veto muss weg», betonte Maas
- auch wenn das bedeute, dass Deutschland dann auch mal selbst
überstimmt werden könne.

Vor den Äußerungen von Maas hatte Ungarn zum wiederholten Male
verhindert, dass die EU die Wahlrechtsreform in der chinesischen
Sonderverwaltungsregion Hongkong mit einer gemeinsamen Erklärung
verurteilt. Davor blockierte die Regierung in Budapest zudem eine
gemeinsame Positionierung zur Eskalation des Konflikts zwischen
Israel und Palästinensern. Als Grund für die Vetos gilt in EU-Kreisen
das Bestreben Ungarns, Spannungen mit China und Israel zu vermeiden.
Zu beiden Ländern unterhält die Regierung von Ministerpräsident
Viktor Orban enge Beziehungen.

Orban selbst erklärte das Veto gegen die China-Erklärung jüngst mit
dem Ansinnen, einer «Politik und Kultur des Kalten Krieges in der
Weltpolitik» vorbeugen zu wollen. Zudem müsse aus ungarischer Sicht
die «Brüsseler Praxis beendet werden, die sich in dem Fabrizieren von
und dem Herumwedeln mit Erklärungen erschöpft». Man erscheine «als

bemitleidenswerte Papiertiger», kritisierte Orban. Wegen der
Erklärungen, die keinerlei Folgen hätten, lache die Welt über die EU.

EU-Ratspräsident Michel nannte als Beispiel für die starke Wirkung
von einstimmigen Entscheidungen der EU den Beschluss, die EU bis 2050
klimaneutral zu machen. Damit habe man ein sehr starkes Signal an die
Bürger und Unternehmen in der EU, aber auch an den Rest der Welt
gesendet. Weil man vereint gewesen sei, habe man dann in den nächsten
Monaten auch andere wichtige Länder beeinflussen können, die sich dem
ambitionierten Ziel dann angeschlossen hätten.

Zugleich betonte der frühere belgische Regierungschef, noch keine
abschließende Meinung zu haben. Er verwies darauf, dass über die
Effizienz der EU-Institutionen derzeit bei der sogenannten Konferenz
zur Zukunft Europas debattiert wird. Vor deren Abschlussbericht, der
im nächsten Jahr erwartet wird, wolle er keine zu starken Meinungen
äußern, sagte Michel in einem Gespräch mit der Deutschen
Presse-Agentur und anderen internationalen Nachrichtenagenturen in
Brüssel.

Der Vorsitzende der größten Fraktion im Europaparlament kritisierte
diese Zurückhaltung scharf. «Gerade Ratspräsident Charles Michel
sollte nicht der Ohnmacht der EU das Wort reden, sondern ihrer
Handlungsfähigkeit», kommentierte Weber. Die gemeinsame Außenpolitik

sei «mit das wichtigste Zukunftsfeld» für die EU.