Europarat erwägt Vertragsverletzungsverfahren gegen Türkei

10.06.2021 14:16

Straßburg (dpa) - Im Fall des in der Türkei inhaftierten
Intellektuellen und Kulturförderers Osman Kavala erwägt der Europarat
ein Vertragsverletzungsverfahren gegen das Land. Werde Kavala nicht
freigelassen, werde mit allen der Organisation zur Verfügung
stehenden Mitteln auf die Umsetzung eines entsprechenden Urteils
gedrängt, hieß es in einer am Donnerstag veröffentlichten
Entscheidung des Ministerkomitees. Dazu zähle auch ein
Vertragsverletzungsverfahren.

In einem Urteil vom Dezember 2019 hatte der Europäische
Menschenrechtsgerichtshof entschieden, dass es keine ausreichenden
Gründe für Kavalas Haft gebe und er mit der Inhaftierung viel mehr
zum Schweigen gebracht werden solle.

Kavala, der seit rund dreieinhalb Jahren inhaftiert ist, war im
Februar zunächst von dem Vorwurf eines Umsturzversuchs im
Zusammenhang mit den Istanbuler Gezi-Protesten von 2013
freigesprochen worden. Er blieb aber wegen eines neuen Haftbefehls im
Gefängnis und muss sich nun im einem neuen Verfahren vor Gericht
verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm erneut einen
Umsturzversuch sowie politische und militärische Spionage im
Zusammenhang mit den regierungskritischen Gezi-Protesten und dem
Putschversuch vom Juli 2016 vor.

Der Europarat mit Sitz im französischen Straßburg kümmert sich
gemeinsam mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte um den
Schutz der Menschenrechte in den 47 Mitgliedstaaten. Beide sind keine
Organe der Europäischen Union. Das Ministerkomitee des Europarats
überwacht die Umsetzung von Urteilen des Gerichtshofs.

In der Geschichte des Europarats hat es einem Sprecher zufolge erst
einmal ein Vertragsverletzungsverfahren gegen ein Mitgliedland
gegeben, weil ein Urteil des Menschenrechtsgerichtshof nicht
umgesetzt wurde. Die 2010 eingeführte Maßnahme richtete sich Ende
2017 gegen Aserbaidschan, weil der Oppositionelle Ilgar Mammadow
nicht aus der Haft entlassen worden war. Nachdem Mammadows
Verurteilung aufgehoben wurde, wurde das Verfahren im vergangenen
Herbst eingestellt.