Kritik aus Israel nach Iran-Wahl - Sieger verschiebt Pressekonferenz

20.06.2021 21:28

Der Erzkonservative Raeissi hat die Präsidentenwahl im Iran gewonnen.
Erzfeind Israel sieht in ihm einen Radikalen, der für den Tod
Tausender verantwortlich ist. Die erste Pressekonferenz des
designierten Präsidenten wird kurzfristig verschoben.

Teheran/Tel Aviv (dpa) - Die Wahl des erzkonservativen Klerikers
Ebrahim Raeissi zum neuen iranischen Präsidenten ist in Israel auf
scharfe Kritik gestoßen. Israels Ministerpräsident Naftali Bennett
bezeichnete die Wahl am Sonntag als «Signal an die Großmächte,
vielleicht das letzte Signal vor der Rückkehr zum Atomabkommen».
Diese müssten verstehen, mit wem sie es nun zu tun hätten «und welche

Art von Regime sie stärken wollen». Bennett sagte bei der ersten
regulären Sitzung seines Kabinetts in Jerusalem: «Von allen Leuten,
die Chamenei (Irans oberster Führer) hätte wählen können (...) wurd
e
«der Henker von Teheran» gewählt.» Dieser sei wegen seiner Rolle be
i
der Hinrichtung von Regimegegnern für den Tod von Tausenden Iranern
verantwortlich. «Was uns allen klar ist: Ein Regime von Henkern darf
keine Massenvernichtungswaffen besitzen.»

Israels Außenminister Jair Lapid schrieb am Samstagabend bei Twitter:

«Seine (Raeissis) Wahl sollte eine neue Entschlossenheit wecken,
sofort das iranische Atomprogramm zu stoppen und (Teherans)
zerstörerischen regionalen Bestrebungen ein Ende zu setzen.»

Raeissi wird Nachfolger von Hassan Ruhani, der nach zwei Amtsperioden
nicht mehr zur Wahl antreten durfte. Der Spitzenkandidat der
Hardliner und Wunschpräsident der politischen Eliten erhielt laut
Innenministerium bei der Wahl am Freitag mehr als 60 Prozent der
Stimmen. Die geringe Wahlbeteiligung unter den mehr als 59 Millionen
Stimmberechtigten von 48,9 Prozent wird von Beobachtern als
Wahlboykott und Warnsignal an die politische Führung ausgelegt. 

Israel und der Iran sind Erzfeinde. Beobachter erwarten unter Raeissi
einen radikaleren Kurs in der Nahostpolitik, im Verhältnis zu Israel
einen gar noch feindseligeren als bislang. Auch die Unterstützung für

anti-israelische Milizen sowie Syriens Machthaber Baschar al-Assad
wird er demnach voraussichtlich noch konsequenter fortsetzen. 

Der 60 Jahre alte Raeissi wollte sich ursprünglich am Sonntag auf
einer Pressekonferenz zu Wort melden und dort erstmals nach seinem
Wahlsieg den politischen Kurs des Landes für die nächsten vier Jahre
erläutern. Allerdings wurde die Veranstaltung verschoben, sie soll
nach Angaben der für ausländische Medien zuständigen Presseabteilung

im Kultusministerium am Montag abgehalten werden.

Die Europäische Union drängte nach der Wahl auf weitere Gespräche
über das Atomabkommen JCPOA. «Die EU ist bereit, mit der neuen
Regierung Irans zusammenzuarbeiten», erklärte eine Sprecherin des
Außenbeauftragten Josep Borrell am Samstagabend in Brüssel. «Bis
dahin ist es wichtig, dass intensive diplomatische Bemühungen
fortgesetzt werden, um das JCPOA wieder aufs richtige Gleis zu
bringen.»

Gespräche über das Iran-Atomabkommen wurden am Sonntag in Wien
fortgesetzt. Ziel ist, sowohl die USA als auch den Iran dazu zu
bringen, das Abkommen von 2015 wieder einzuhalten. Aus Kreisen
europäischer Diplomaten hieß es am Abend, die schwierigsten Themen
müssten nach wie vor gelöst werden. Die Delegationen würden nun zu
Konsultationen in ihre Hauptstädte reisen. «Wir fordern alle Seiten
auf, bei Rückkehr nach Wien die Bereitschaft zum Abschluss einer
Vereinbarung mitzubringen.»

Ohne Verhandlungen mit den USA, die von Raeissi in den vergangenen
Jahren stets kritisiert wurden, werden die Sanktionen voraussichtlich
nicht aufgehoben - und dementsprechend wäre auch kein Ende der
Wirtschaftskrise realisierbar.

Russlands Staatschef Wladimir Putin gratulierte Raeissi, der mit
US-Sanktionen belegt ist, am Samstag zum Wahlsieg. Die Beziehungen
zwischen Russland und Iran seien traditionell freundschaftlich, hieß
es in einer Mitteilung des Kreml.

Raeissi war vor vier Jahren noch an Ruhani gescheitert, dieses Mal
stellte sich sein Weg ins Präsidialamt wesentlich leichter dar. Dafür
sorgte auch der sogenannte Wächterrat, der als Wahlgremium ernsthafte
Konkurrenten vor dem Urnengang aussortierte. «Das Ergebnis der
Präsidentenwahl stand schon fest, bevor die Wahlurnen überhaupt
geöffnet wurden», erklärte der außenpolitische Koordinator der
Grünen/EFA-Fraktion im Europaparlament, Reinhard Bütikofer.