Merz bescheinigt Union und Bundesregierung Fehler in Europapolitik

17.07.2021 17:06

Berlin (dpa) - Der CDU-Politiker Friedrich Merz fordert eine
Neuausrichtung der Europapolitik seiner Partei. Im Gespräch mit der
«Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» warf Merz der
unionsgeführten Bundesregierung eine Reihe von Fehlern vor, darunter
die Entscheidung zu Corona-Hilfen der EU und die zentrale Beschaffung
von Corona-Impfstoff durch Brüssel.

«Rückblickend war es ein Fehler, den Kauf von Corona-Impfstoffen in
vollem Umfang der EU-Kommission zu überlassen», sagte er. Im
Corona-Hilfsfonds sieht Merz einen Schritt hin zu einer
«Schuldenunion». «Mit diesem Fonds wird die Perspektive eröffnet,
dass die EU auch in normalen Zeiten eigene Schulden aufnimmt», warnte
er. «Ich sehe das als reale Gefahr.»

Allgemein sieht Merz «eine Dynamik in Brüssel, immer mehr Macht zur
EU zu ziehen». Die meisten Mitgliedstaaten wollten «kein
zentralisiertes Europa», sagte er. Deshalb sei das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts richtig, mit dem es Anleihekäufe der
Europäischen Zentralbank beanstandet und sich damit über den
Europäischen Gerichtshof hinweggesetzt hatte.

Die EU-Kommission hat deshalb gegen Deutschland ein Verfahren wegen
Verletzung von EU-Recht eingeleitet. Kommissionspräsidentin Ursula
von der Leyen (CDU) sei «offensichtlich von den Hardlinern in der
Kommission dazu gedrängt worden», so der frühere Unionsfraktionschef.


Zugleich kritisierte Merz, zu den Versäumnissen der letzten Jahre
gehöre auch die «Verweigerung», mehr mit dem «proeuropäischen»

französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu machen. Außerdem
forderte er Mut zu mehr Einigkeit, wo diese nötig sei. «Wir müssen
über die Möglichkeit reden, die Außenpolitik der EU durch
Mehrheitsentscheidungen zu stärken.»

Einen weiteren Fehler Deutschlands sieht Merz darin, die umstrittene
Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 ohne europäischen Konsens zu bauen.
Durch die Pipeline soll Erdgas aus Russland an der Ukraine vorbei
direkt nach Deutschland transportiert werden. Die Frage spalte nun
die EU, sagte Merz. Er habe darin nie nur ein wirtschaftliches
Projekt gesehen: «In der Energiewirtschaft ist alles auch politisch.»

Aus der SPD-Bundestagsfraktion gab es umgehend Widerworte. Nach
Steuer- und Klimapolitik sei die Europapolitik nun das nächste Feld,
wo es bei der Union an klarer und glaubwürdiger Orientierung mangele,
teilte Fraktionsvize Achim Post mit. «Friedrich Merz stellt mit
seinen Äußerungen europapolitische Grundentscheidungen der letzten
Jahre in Frage. Das ist keine Petitesse, wenn man seine prägende
Rolle im Wahlkampf der CDU bedenkt.»

So habe etwa gerade Deutschland als exportorientiertes Land ein
elementares Interesse daran, dass Europa mit dem Wiederaufbaufonds
möglichst schnell wieder wirtschaftlich durchstarte, so Post. «Wenn
es Armin Laschet mit seiner europafreundlichen Rhetorik ernst ist,
dann darf er den europapolitischen Rückwärts-Kurs von Friedrich Merz
nicht einfach so kommentarlos hinnehmen.»