EZB zementiert Zinstief - Politik der «ruhigen Hand» Von Jörn Bender und Friederike Marx, dpa

22.07.2021 16:00

Europas Währungshüter zementieren das Rekordtief bei den Zinsen und
stecken weiterhin Milliarden in Anleihenkäufe. Sorgen bereitet der
EZB die Ausbreitung der Delta-Variante des Coronavirus.

Frankfurt/Main (dpa) - Sparer im Euroraum müssen sich auf eine noch
länger anhaltende Zinsflaute einstellen. In der ersten Zinssitzung
nach der Verabschiedung einer neuen geldpolitischen Strategie
bekräftigten Europas Währungshüter am Donnerstag ihren expansiven
Kurs mit Zinsen auf Rekordtief und milliardenschweren Anleihenkäufen.
EZB-Präsidentin Christine Lagarde sprach von einer Politik der
«ruhigen Hand» und warb um «Geduld».

«Die Erholung der Wirtschaft im Euroraum ist auf Kurs», sagte
Lagarde. «Doch die Pandemie wirft weiterhin einen Schatten, zumal die
Delta-Variante eine wachsende Quelle der Unsicherheit darstellt.»
Dies könne die Erholung in Dienstleistungssektoren dämpfen. Niemand
wolle unter diesen Umständen die Geldpolitik zu früh straffen, sagte
Lagarde.

Die Notenbank mit Sitz in Frankfurt hält daher den Leitzins im
Euroraum auf dem Rekordtief von null Prozent. Auf diesem Niveau liegt
der wichtigste Zins zur Versorgung der Kreditwirtschaft mit
Zentralbankgeld inzwischen seit März 2016. Zugleich müssen
Geschäftsbanken nach wie vor 0,5 Prozent Zinsen zahlen, wenn sie Geld
bei der Notenbank parken.

«Es ist nicht beabsichtigt, die niedrigen Zinsen länger
beizubehalten, wir wollen unser Ziel erreichen», betonte Lagarde mit
Blick auf das neue flexiblere Inflationsziel, das die EZB Anfang Juli
vorgestellt hatte. Die Notenbank strebt nun für die 19 Staaten des
Euroraums mittelfristig eine jährliche Teuerungsrate von zwei Prozent
an - und das möglichst über einen längeren Zeitraum. «Dies geht unt
er
Umständen damit einher, dass die Inflation vorübergehend moderat über

dem Zielwert liegt», bekräftigte die EZB am Donnerstag. Bislang lag
das Inflationsziel der EZB bei «unter, aber nahe zwei Prozent».

Mit diesem «symmetrischen» Inflationsziel ist die Notenbank nicht
mehr unmittelbar zum Reagieren gezwungen, sollten die Inflationsraten
zeitweise nach oben oder nach unten von dem prozentualen Ziel
abweichen. Dauerhaft niedrige Preise gelten als Risiko für die
Konjunktur: Unternehmen und Verbraucher könnten dann Investitionen
aufschieben - in der Hoffnung, dass es bald noch billiger wird.

«Wirtschaft und Sparer werden leider noch lange Zeit mit
Negativzinsen leben müssen. Und dies trotz deutlich steigender
Preise», sagte Christian Ossig, Hauptgeschäftsführer des
Bankenverbandes BdB. Die Inflation im Euroraum war zuletzt gestiegen.
Aus Sicht der Währungshüter ist dieser Anstieg aber vorübergehend und

auf Sonderfaktoren infolge der Corona-Krise zurückzuführen.

Mit dem neuen Zinsausblick dürften sich alle Hoffnungen auflösen,
«dass es schon 2023 oder 2024 zu einer Zinserhöhung kommen kann»,
analysierte Andreas Bley, Chefvolkswirt des Bundesverbandes der
Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR). «Damit verlängert
sich die Belastungsprobe anhaltender Minuszinsen für Sparer und die
Finanzwirtschaft.»

Das zu Beginn der Corona-Pandemie aufgelegte, besonders flexible
Notkaufprogramm für Staatsanleihen und Wertpapiere von Unternehmen
(Pandemic Emergency Purchase Programme/PEPP) mit einem Volumen von
1,85 Billionen Euro führt die EZB bis mindestens Ende März 2022 fort.
Obwohl angesichts der anziehenden Konjunktur die Zweifel an der
Notwendigkeit solcher Käufe wachsen, will die Notenbank das Tempo der
Wertpapierkäufe im dritten Quartal deutlich erhöhen.

Die Anleihenkäufe der EZB helfen Staaten wie Unternehmen: Diese
müssen für ihre Wertpapiere nicht so hohe Zinsen bieten, wenn eine
Zentralbank als großer Käufer am Markt auftritt. Besonders für
Staaten ist das wichtig, weil sie in der Corona-Krise
milliardenschwere Rettungsprogramme aufgelegt haben, die es zu
finanzieren gilt.

Nach März 2022 könnte das Kaufprogramm PEPP «möglicherweise ... in

ein neues Format» übergehen, hatte Lagarde vor der EZB-Sitzung
gesagt. Über die Zukunft der Anleihenkäufe sei im EZB-Rat am
Donnerstag aber nicht diskutiert worden, sagte Lagarde nach der
Sitzung in Frankfurt. Sie betonte: «Jede Art von Ausstieg wäre
verfrüht.»

Lagarde hatte bereits in der vergangenen Woche Hoffnungen auf ein
baldiges Ende des Anti-Krisen-Kurses erneut eine Absage erteilt: «Es
ist jetzt nicht die Zeit, um über eine Ausstiegsstrategie zu
sprechen.» In ihrem überarbeiteten längerfristigen Ausblick, der
sogenannten Forward Guidance, betonen die Währungshüter nun den
Aspekt der Beharrlichkeit. Nach Einschätzung der Landesbank
Baden-Württemberg (LBBW) signalisiert die EZB damit: «Mit einem
Ausstieg aus den ultra-expansiven Maßnahmen haben wir es auch bei
fortgesetzter Konjunkturerholung nicht eilig.»