Europas Banken sind krisentauglich - wie sinnvoll sind Stresstests? Von Jörn Bender, dpa und Steffen Weyer, dpa-AFX
01.08.2021 15:15
Ein Jahr später als geplant setzten die Aufseher Europas Banken
wieder unter Stress. Durchfallen konnten sie nicht beim diesjährigen
Krisentest, die Ergebnisse der deutschen Geldhäuser aber sind
insgesamt schwach. Wie sinnvoll sind solche Stresstets überhaupt?
Frankfurt/Main (dpa) - Europas Banken haben den bisher härtesten
Krisentest der Aufseher überwiegend ohne größere Blessuren
überstanden - Kritik an den Tests selbst jedoch bleibt bestehen.
«Stresstests sind ein problematisches Instrumentarium, weil es
hypothetische Szenarien sind, bei denen nie so ganz klar ist, warum
jenes und nicht ein anderes Szenario gewählt wird», sagte etwa
Hans-Peter Burghof, Inhaber des Lehrstuhls für Bankwirtschaft und
Finanzdienstleistungen an der Universität Hohenheim.
Die europäische Bankenaufsicht EBA hatte 50 Institute aus 15 Ländern
auf Basis ihrer Bilanz des Corona-Krisenjahres 2020 durchrechnen
lassen, wie stark Kapitalpuffer bis Ende 2023 schrumpfen würden,
sollten sich Pandemie und Wirtschaftsflaute zuspitzen. Zusätzlich
wurde ein ganzes Bündel ungünstiger Entwicklungen angenommen:
steigende Arbeitslosenquote, Einbruch der Immobilienpreise, stark
sinkende Auslandsnachfrage, weiter fallende Marktzinsen. Parallel
nahm die Europäische Zentralbank (EZB) weitere 51 Banken aus dem
Euroraum unter die Lupe, die sie direkt beaufsichtigt.
Den am Freitagabend vorgestellten Ergebnissen zufolge würde der
EU-Bankensektor nach EBA-Berechnungen in Summe 265 Milliarden Euro an
Kapital einbüßen. Die harte Kernkapitalquote als Puffer für
Rückschläge würde von 15,0 Prozent Ende 2020 auf 10,2 Prozent Ende
2023 sinken.
Die sieben deutschen Banken im EBA-Test schnitten insgesamt
vergleichsweise schlecht ab und landeten im Vergleich der 15 Länder
auf Platz 13 - mit einer Kernkapitalquote von durchschnittlich 8,78
Prozent knapp vor Italien (8,60 Prozent) und Schlusslicht Irland
(8,44 Prozent). Den besten Wert erzielte Norwegen (17,08 Prozent),
wobei aus dem Nicht-EU-Staat nur eine Bank von der EBA getestet
wurde. Unter den EU-Staaten führen die schwedischen Banken mit einer
durchschnittlichen Kernkapitalquote von 16,12 Prozent die Liste an.
Insgesamt waren 16 deutsche Institute in den parallelen Tests von EBA
und EZB dabei. Am härtesten traf das EBA-Stressszenario die Deutsche
Bank, deren Kapitalpuffer auf 7,4 Prozent zusammenschmolz. Die
Commerzbank kam auf 8,2 Prozent. Bestes deutsches Institut im
EBA-Test war die Volkswagen Bank, die auch im schärfsten
Stressszenario noch 15,48 Kernkapitalquote aufwies. Die DZ Bank
landete mit 10,21 Prozent genau im europäischen Durchschnitt.
Außerdem untersuchte die EBA die drei Landesbanken BayernLB,
Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) und Landesbank Hessen-Thüringen
(Helaba).
«Wegen der hohen Exporte der deutschen Volkswirtschaft und der
starken Abhängigkeit deutscher Banken vom Zinsgeschäft ist der
Kapitalverzehr bei den deutschen Banken leicht höher als im
EU-Durchschnitt», erklärte Bundesbank-Vorstand Joachim Wuermeling.
«Das ist kein Grund zur Beunruhigung und auch keine Schwäche, sondern
spiegelt nur die höhere Verwundbarkeit der deutschen Volkswirtschaft
in einer weltweiten Rezession wider.»
Durchfallen konnten Banken bei den parallelen Stresstests der EBA
(Paris) und der EZB (Frankfurt) im Grunde nicht. Allerdings wurde bei
der schon länger kriselnden italienischen Monte dei Paschi in der
simulierten Krise der komplette Kapitalpuffer aufgezehrt.
Insgesamt bescheinigten Europas Bankenaufseher den Instituten
Solidität. «Die Resultate zeigen, dass das Bankensystem im Euroraum
widerstandsfähig gegenüber ungünstigen wirtschaftlichen Entwicklungen
ist», fasste die EZB-Bankenaufsicht zusammen. Banken, die im
hypothetischen Krisenszenario schlechter abgeschnitten haben, müssen
allerdings damit rechnen, dass ihnen die Aufseher auftragen, ihre
Kapitalpuffer zu verstärken, um sich besser für mögliche Rückschl
äge
zu wappnen. Auf die Bremse treten könnten die Aufseher bei solchen
Häusern bei der Ausschüttung von Dividenden.
Eigentlich sollte die neue Auflage des europäischen Bankenstresstests
schon 2020 durchgeführt werden. Doch um den Instituten mitten in der
Pandemie nicht noch weitere Aufgaben aufzubürden, verschob die EBA
die Prüfung um ein Jahr. Seit der weltweiten Finanz- und
Wirtschaftskrise 2008/2009 überprüfen Aufseher rund um den Globus mit
solchen Stresstests regelmäßig, wie anfällig Banken im Krisenfall
wären.
Unumstritten sind solche Tests und die Ableitungen daraus nicht, denn
welche Risiken in den hypothetischen Szenarien wie stark gewichtet
werden, liegt letztlich in der Hand der Aufseher. «Im besten Fall ist
das Willkür, man kann aber auch politische Absicht dahinter
vermuten», sagte Experte Burghof. «Je nach Auswahl der Kriterien
können die Aufseher einzelne Banken bewusst in schlechtes Licht
stellen und andere besser aussehen lassen.»
Auch der Volkswirt Stefan Best, langjähriger Bankenexperte der
Ratingagentur Standard & Poor's (S&P), der inzwischen an der
Hochschule Rhein-Main in Wiesbaden unterrichtet, meint, man sollte
solche Stresstests nicht überbewerten. «Ich halte sie nicht für
glaubwürdig, weil sie von zwei Institutionen durchgeführt werden, die
letztlich politisch nicht unabhängig sind.» Mit solchen Tests wollten
Aufseher vor allem die Öffentlichkeit beruhigen, ist Best überzeugt.