Gute Konjunktur und steigende Inflation: EZB drosselt Anleihenkäufe Von Jörn Bender und Boris Roessler , dpa

09.09.2021 15:56

Die EZB geht angesichts der gut laufenden Konjunktur leicht vom Gas.
In den nächsten Monaten pumpt die Notenbank über Wertpapierkäufe
etwas weniger Geld in die Märkte. Ein Ausstieg aus dem seit Jahren
anhaltenden Anti-Krisenkurs ist aber noch weit entfernt.

Frankfurt/Main (dpa) - Europas Währungshüter treten bei ihren
milliardenschweren Anleihenkäufen leicht auf die Bremse. Ein Ende des
in der Pandemie aufgelegten Notkaufprogramms PEPP ist damit
allerdings nicht beschlossen. In dieser Frage vertröstete die
Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde,
die Märkte am Donnerstag auf die letzte Sitzung des EZB-Rates in
diesem Jahr am 16. Dezember: «Wir werden im Dezember über die
Bedingungen und Konditionen von PEPP sprechen.»

Einstimmig beschlossen wurde, dass die Wertpapierkäufe im Rahmen des
Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP) im vierten Quartal des
laufenden Jahres «moderat reduziert» werden. Zuletzt steckte die EZB
monatlich etwa 80 Milliarden Euro in Anleihen von Staaten und
Unternehmen. Eine Summe für die nächsten Monate nannte die EZB nicht.

«Wir sehen eindeutig Verbesserungen an vielen Fronten», sagte Lagarde
in Frankfurt. Die Erholung der Wirtschaft im Euroraum vom Corona-Tief
schreite voran. Für das laufende Jahr erwartet die Notenbank nun ein
Wachstum von 5,0 (Juni-Prognose: 4,6) Prozent, 2022 dann 4,6 (4,7)
Prozent. Es werde aber noch eine Weile dauern, bis der durch die
Pandemie angerichtete Schaden behoben sei, sagte Lagarde.

Die EZB bekräftigte, dass sie noch bis mindestens Ende März 2022 im
Rahmen ihres besonders flexiblen Notkaufprogramms Staats- und
Unternehmensanleihen kaufen will, um den Aufschwung zu unterstützen.
Das PEPP hat ein Gesamtvolumen von 1,85 Billionen Euro.

Die Anleihenkäufe der EZB helfen Staaten wie Unternehmen: Diese
müssen für ihre Wertpapiere nicht so hohe Zinsen bieten, wenn eine
Zentralbank als großer Käufer am Markt auftritt. Das ist besonders
für Staaten wichtig, die zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen
der Pandemie milliardenschwere Hilfsprogramme aufgelegt haben.

«Es ist gut, dass sich der EZB-Rat bewegt und einen allerersten
Trippelschritt auf dem langen Weg zu einem Ende der Anleihenkäufe
unternimmt», kommentierte Ökonom Friedrich Heinemann vom ZEW -
Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung. In den nächsten

Monaten müssten allerdings «weitere klare Ansagen für einen Exit aus

der Krisenpolitik folgen», forderte Heinemann.

Auch Andreas Bley, Chefvolkswirt des Bundesverbandes der Deutschen
Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), mahnte: «Die EZB sollte sich
frühzeitig auf einen Kurswechsel weg von der extrem expansiven
Geldpolitik vorbereiten, denn der Bremsweg dürfte sich angesichts der
umfassenden Anleihenkäufe über einen langen Zeitraum erstrecken.»

Ein Ende des Zinstiefs im Euroraum ist bislang jedoch nicht in Sicht.
Den Leitzins im Euroraum hält die EZB weiterhin auf dem Rekordtief
von null Prozent. Auf diesem Niveau liegt der Zins inzwischen seit
März 2016. Geschäftsbanken müssen nach wie vor 0,5 Prozent Zinsen
zahlen, wenn sie Geld bei der Notenbank parken.

Kritiker werfen der EZB vor, mit dem vielen billigen Geld die
Inflation anzuheizen, die sie eigentlich im Zaum halten will.
Oberstes Ziel der Notenbank sind stabile Preise. Eine höhere
Inflation schwächt die Kaufkraft von Verbrauchern, weil sie sich für
einen Euro dann weniger kaufen können als zuvor.

Die Teuerung im Euroraum dürfte nach jüngster Einschätzung der
Zentralbank in diesem Jahr bei 2,2 (Juni-Prognose: 1,9) Prozent
liegen. Für 2022 rechnen die Währungshüter mit einer jährlichen
Preissteigerung von 1,7 (1,5) Prozent.

Beim Umgang mit höheren Teuerungsraten hat sich die EZB mehr
Flexibilität verschafft: Die Notenbank strebt neuerdings für den
Währungsraum der 19 Staaten eine jährliche Teuerungsrate von zwei
Prozent an und ist zumindest zeitweise bereit, eine moderates Über-
oder Unterschreiten dieser Marke zu akzeptieren.

Im August 2021 lagen die Verbraucherpreise im Euroraum um 3,0 Prozent
über dem Niveau des Vorjahresmonats - der höchste Stand seit fast
zehn Jahren. Die Zinsen will die EZB erst wieder anheben, wenn sie
ihr Inflationsziel nachhaltig erreicht sieht.

Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hatte gemahnt, auch «das Risiko
einer zu hohen Inflation» nicht auszublenden: «Angesichts der
bestehenden Unsicherheit sollten wir den sehr lockeren Kurs der
Geldpolitik nicht für zu lange festschreiben.»

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für
Wirtschaftsforschung (DIW), sagte am Donnerstag: «Die EZB
signalisiert zu Recht, dass sie sich alle Freiheiten und Flexibilität
für ihre weitere Geldpolitik in den kommenden Jahren sichern wird.
Die Wirtschaftsentwicklung und die Inflation sind immer noch nicht
stark genug für eine Ende der expansiven Geldpolitik.»

Aus Sicht der EZB ist der Anstieg der Verbraucherpreise vorübergehend
und auf Sonderfaktoren infolge der Corona-Krise zurückzuführen. So
waren zum Beispiel die Rohölpreise wegen geringer Nachfrage auf dem
Weltmarkt nach Ausbruch der Pandemie im Frühjahr 2020 eingebrochen.
Seither haben sie sich erholt. Auch die Rückkehr zu den üblichen
Mehrwertsteuersätzen in Europas größter Volkswirtschaft Deutschland
zum 1. Januar 2021 hatte einen Effekt auf die Teuerung im Euroraum.

Greenpeace nutzte die EZB-Sitzung, um mit einer Aktion vor der
EZB-Zentrale in Frankfurt mehr Einsatz der Notenbank im Kampf gegen
den Klimawandel zu fordern.