Merkel setzt in Streit um polnische Justiz auf Dialog

12.09.2021 12:10

Bei ihrem wohl letzten Polen-Besuch als Kanzlerin setzt Merkel auf
versöhnliche Töne. Selbst beim Thema Nord Stream 2 gibt es
Annäherung. Im Streit der Europäer ums polnische Justizsystem
empfiehlt sie: miteinander reden.

Warschau (dpa) - Im Dauerstreit zwischen der EU und Polen um das
dortige Justizsystem hat Bundeskanzlerin Angela Merkel dafür
plädiert, den Konflikt durch Gespräche zu lösen. «Politik ist doch

mehr, als nur zu Gericht zu gehen», sagte Merkel am Samstag bei einem
Treffen mit Ministerpräsident Mateusz Morawiecki in Warschau. Auch
bei anderen strittigen Themen wie der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2
gaben sich beide Seiten versöhnlich. Für Merkel war es vermutlich der
letzte offizielle Polen-Besuch in fast 16 Jahren Kanzlerschaft.

Brüssel und Warschau streiten schon seit längerem über Änderungen i
m
polnischen Justizsystem. Kritiker werfen der nationalkonservativen
PiS-Regierung vor, die Unabhängigkeit der Justiz zu untergraben.
Derzeit prüft das polnische Verfassungsgericht, ob polnisches Recht
Vorrang vor EU-Recht hat.

Die EU-Kommission hatte am Dienstag beim Europäischen Gerichtshof
(EuGH) finanzielle Sanktionen gegen das Mitgliedsland beantragt.
Hintergrund ist die fortgesetzte Tätigkeit der polnischen
Disziplinarkammer zur Bestrafung von Richtern. Der EuGH hatte in
einer einstweiligen Anordnung den Stopp der Tätigkeit dieser Kammer
angeordnet, woran sich Warschau aber nicht hält.

Merkel sagte, es müsse natürlich immer eine Möglichkeit des
Rechtsstaats sein, strittige Dinge durch Gerichtsverfahren zu lösen.
Es gebe jedoch Möglichkeiten, durch Dialog voranzukommen.
Möglicherweise gebe es bereits solche Gespräche zwischen Polen und
der EU-Kommission, sagte die CDU-Politikerin. Andernfalls werde sich
Deutschland dafür einsetzen.

Sowohl Merkel als auch Morawiecki verurteilten den Umgang des
polnischen Nachbarlands Belarus mit Flüchtlingen aus Krisenregionen.
Wehrlose Menschen aus anderen Ländern würden als Subjekte «hybrider
Attacken» benutzt, sagte die Kanzlerin. «Ich halte das für vollkommen

inakzeptabel.» Sie appellierte an Belarus, den an der
polnisch-belarussischen Grenze festsitzenden Flüchtlingen humanitäre
Hilfe zukommen zu lassen. Dies ist zugleich eine Außengrenze der
Europäischen Union.

Die Regierung in Warschau beschuldigt den belarussischen Machthaber
Alexander Lukaschenko, in organisierter Form Flüchtlinge an die
Grenze zu bringen. Polen hat nun mit einem Andrang von Migranten aus
dem Nahen Osten über seine 418 Kilometer lange Grenze zu Belarus zu
kämpfen. Das Land hat deshalb den Ausnahmezustand in der Grenzregion
ausgerufen. Zugleich wurde mit dem Bau eines Zauns begonnen.
Lukaschenko steht im Westen wegen seines autoritären Regierungsstils
und der Unterdrückung von Opposition seit Jahren in der Kritik.

Morawiecki sagte zur aktuellen Entwicklung: «Wir haben hier sowohl
die Unterstützung der EU-Kommission als auch die der deutschen
Regierung, um Europa vor illegaler Migration zu schützen, vor
Bewegungen, die nicht von uns abhängen.» Europa müsse mehr für sein
e
Verteidigung tun und auch die Ausgaben dafür erhöhen. Merkel lobte
Polen dafür, dass es schon jetzt zwei Prozent seiner
Wirtschaftsleistung in die Verteidigung investiere. Deutschland
erreicht diese Marke nicht.

Zum Thema Nord Stream 2 betonte die Kanzlerin, Deutschland habe mit
den USA vereinbart, sich dafür einzusetzen, dass sich Russland
möglichst frühzeitig verpflichte, die Gaslieferungen durch die
Ukraine auch über 2024 hinaus fortzusetzen. Diese Verpflichtung sei
wichtig, damit Energielieferungen «nicht zur hybriden Kriegsführung
benutzt werden» könnten. Polens ist seit langem gegen Nord Stream 2.
Befürchtet wird, dass Russland damit die Abhängigkeit Europas von
seinen Gaslieferungen erhöhen und bisherige Transitländer unter Druck
setzen könnte.