Letzte Balkanreise: Merkel betont Bedeutung der Region für Europa

14.09.2021 16:52

Sechs Staaten aus Südosteuropa wollen in die EU. In einigen
Metropolen der «alten» Union finden sie mitunter wenig Verständnis
für ihre Anliegen und Nöte. In der scheidenden Bundeskanzlerin sehen
sie eine gewichtige Fürsprecherin, deren Abgang sie zutiefst
bedauern.

Tirana (dpa) - Wenige Wochen vor ihrem Ausscheiden aus der Politik
hat Bundeskanzlerin Angela Merkel das Interesse Deutschlands an den
Westbalkan-Staaten bekräftigt. «Unabhängig davon, wie die deutschen
Wahlen ausgehen, wird jeder neue deutsche Bundeskanzler ein Herz für
die Region haben», sagte sie am Dienstag auf einer gemeinsamen
Pressekonferenz mit dem albanischen Ministerpräsidenten Edi Rama.

Merkel beendete eine zweitägige Reise, die sie am Tag zuvor nach
Belgrad geführt hatte, aber allen sechs Westbalkan-Staaten galt.
Albanien, Serbien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina, Nordmazedonien
und das Kosovo streben gleichermaßen in die Europäische Union (EU).
Im Beitrittsprozess erreichten sie bislang unterschiedliche Stufen,
aber sie haben alle einen weiten Weg der Demokratisierung und
Reformen vor sich.

In der albanischen Hauptstadt Tirana sprach Merkel zunächst mit dem
Gastgeber Rama und dann mit den anderen fünf Regierungschefinnen und
-chefs: Ana Brnabic (Serbien), Zdravko Krivokapic (Montenegro), Zoran
Tegeltija (Bosnien), Zoran Zaev (Nordmazedonien) und Albin Kurti
(Kosovo). Es gab jeweils bilaterale Treffen sowie ein gemeinsames
Mittagessen in einem Business-Park nahe dem Flughafen.

In Belgrad hatte Merkel nach ihren Gesprächen mit Präsident
Aleksandar Vucic das «absolute geo-strategische Interesse»
Deutschlands und der EU an der Integration der Westbalkan-Staaten
betont. In Tirana bekräftigte sie diese Einschätzung.

Montenegro verhandelt seit 2012 über einen Beitritt, Serbien seit
2014. Albanien und Nordmazedonien erhielten im Vorjahr grünes Licht
für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen, doch das EU-Mitglied
Bulgarien blockiert derzeit den Start für Nordmazedonien, weil es vom
kleineren Nachbarland national- und identitätspolitische
Zugeständnisse erzwingen will.

Das in sich stark gespaltene Bosnien hat erst einen Aufnahmeantrag
gestellt. Das Kosovo, das sich von Serbien losgelöst hat, steht
praktisch am Nullpunkt. Fünf EU-Länder, darunter Spanien und
Griechenland, wollen nämlich die Staatlichkeit des heute fast
ausschließlich von Albanern bewohnten Landes nicht anerkennen.

Der Beitrittsprozess gestaltet sich schleppend, wofür es
unterschiedliche Gründe gibt. Die Führung in Serbien, die seit 2012
von Präsident Vucic dominiert wird, zeigt wenig Willen zu Reformen.
Demokratie und Medienpluralismus höhlt sie zunehmend aus. Aber auch
die verantwortlichen Politiker einiger «alter» EU-Länder zeigen
Anzeichen einer «Erweiterungsmüdigkeit».

Merkel fand dafür in Tirana kritische Worte. «Wenn die Bedingungen
für den Beitritt oder für die Aufnahme von Beitrittsgesprächen
erfüllt sind, dann muss die EU Wort halten», erklärte sie. Es gehe
nicht an, dass einzelne Mitgliedsländer «immer neue Bedingungen
erfinden, weil sie aus innenpolitischen Gründe keine Lust haben»,
sich mit potenziellen neuen Mitgliedern auseinanderzusetzen.

Merkels Reise stand auch im Zeichen der Anerkennung, die die
regionalen Regierungschefs der Bundeskanzlerin entgegenbringen.
«Niemand hat mehr Gutes getan für die Region als sie, niemand
versteht die Region besser als sie», sagte Rama. Vucic hatte sie am
Tag zuvor gleichfalls in höchsten Tönen gelobt. «Sie ist eine
Autorität, der jeder in der Region gerne zuhört, die für jeden ein
offenes Ohr hat», hatte er geschwärmt.