Gefahr für Haustiere oder Panikmache? Aufregung um Antibiotika-Regeln Von Violetta Heise, dpa

15.09.2021 21:33

Fleisch mit antibiotikaresistenten Keimen drauf essen? Das will wohl
keiner. In der EU sollen auch deshalb künftig weniger Antibiotika an
Tiere gehen. Doch Pläne, bestimmte Stoffe vor allem Menschen
vorzubehalten, treiben jetzt Tierfreunde auf die Barrikaden. Warum?

Straßburg (dpa) - «Wenn meine Katze stirbt, stirbst du auch.» Solche

Morddrohungen kommen derzeit bei dem grünen Europa-Abgeordneten
Martin Häusling an. Er setzt sich auf EU-Ebene dafür ein, dass fünf
besonders wirksame Antibiotika-Gruppen künftig in erster Linie
Menschen vorbehalten sind und nur noch in Ausnahmefällen an Tiere
verabreicht werden. Im Fokus hat er dabei die industrielle
Tierhaltung, wo massenhaft Antibiotika an Hühner, Schweine und Co.
gehen - trotz der Gefahr von Resistenzbildungen. Doch der jetzige
Sturm der Entrüstung kommt von Hunde- und Katzenhaltern, die um das
Leben ihres Haustiers bangen, wie Häusling erzählt.

Dahinter steckt eine Kampagne des Verbands praktizierender Tierärzte.
Dieser fürchtet, dass Haustiere künftig nicht mehr adäquat mit
Antibiotika behandelt werden könnten, sollte Häusling mit seinen
Plänen Erfolg haben. Online werden Unterschriften dagegen gesammelt.
Auf dazu veröffentlichten Bildern ist ein traurig dreinblickender
Hund zu sehen, darüber die Worte: «Mein Leben ist in Gefahr.»

Laut Häusling ist das Ganze eine unredliche Fake-News-Kampagne. «Man
macht Leuten Angst, die gar keine Angst haben müssen.» Mittlerweile
hat die Petitionsplattform change.org die Kampagne mit einem
Warnbanner versehen, das dazu aufruft, sich vor Unterzeichnung
eingehender mit dem Thema zu befassen.

Was genau ist da los? Am Mittwoch stimmte das EU-Parlament über ein
Veto Häuslings und des Umweltausschusses ab. Die Ergebnisse werden am
Donnerstagmorgen erwartet. Das Veto richtet sich gegen einen
Vorschlag der EU-Kommission zur Frage, welche Kriterien bei der
Auswahl sogenannter Reserveantibiotika angelegt werden sollten.
Häusling sind die Vorschläge aus Brüssel zu schwammig. Sollte sein
Einspruch vom Parlament angenommen werden, würde die EU-Kommission
aufgefordert, fünf Antibiotika-Gruppen auf die Liste der
Reserveantibiotika zu stellen.

Reserveantibiotika sind Medikamente, die bei Infektionskrankheiten
verwendet werden, wenn normale Antibiotika nicht mehr wirken. Ziel
ist ein möglichst restriktiver Einsatz dieser Mittel, um ihre
Wirksamkeit durch sich entwickelnde Resistenzen nicht zu gefährden.
Der Grund: Je mehr ein Antibiotikum eingesetzt wird, desto eher
setzen sich Erreger-Subtypen durch, denen das Medikament nichts
anhaben kann - die resistent sind.

Diese sind gefürchtet: Laut der EU-Kommission sterben jedes Jahr in
der EU 33 000 Menschen, weil Antibiotika bei ihnen nicht mehr wirken.
Die Resistenzen entstehen, weil zu viele Antibiotika eingesetzt
werden - beim Menschen, aber auch in der Tiermast. Schätzungen
zufolge würden weltweit 66 Prozent aller Antibiotika für
landwirtschaftliche Nutztiere verwendet und nicht für Menschen,
erklärt Häusling. In Mastbetrieben würden auch nicht-infizierte Tiere

über Futter oder Wasser standardmäßig mit Antibiotika behandelt.

Zwar ist die Menge der Antibiotika, die an Tierärzte abgegeben
wurden, zuletzt deutlich gesunken. Doch wenn ein Mensch mit besonders
häufigen multiresistenten Keimen besiedelt wird, ohne Symptome zu
entwickeln, dann geht das in fast jedem fünften Fall auf eine
Übertragung von tierischen Lebensmitteln zurück. Das schätzt ein
niederländisches Modell. Die Deutsche Umwelthilfe hatte zuletzt in
einer Stichproben-Untersuchung bei Putenfleisch der Haltungsstufe 2
von Lidl und Aldi auf fast jedem dritten Kauf antibiotikaresistente
Keime festgestellt.

Trotzdem wolle er auf keinen Fall, dass künftig Tiere gar keine
Reserveantibiotika mehr erhalten, betont Häusling. In seinem Veto
fordert er, dass einzelne schwer kranke Tiere weiter auch mit diesen
Reserveantibiotika behandelt werden können: also auch Katzen, Hunde
oder Hamster. Wieso dann all der Aufruhr?

«Wenn dies so umgesetzt würde, würden für die Tiermedizin vier
Wirkstoffklassen verboten», sagt Heiko Färber, Geschäftsführer des

Bundesverbands Praktizierender Tierärzte (bpt). Martin Häusling
spreche zwar von Ausnahmemöglichkeiten für die Behandlung einzelner
Tiere. «Das hört sich gut an», sagt Färber, aber das sei
unrealistisch. Denn für solche Ausnahmeregelungen müsste die
jahrelang mühsam ausgehandelte Tierarzneimittel-Verordnung wieder neu
aufgemacht werden - und dazu gebe es keinerlei politischen Willen.

Die Sichtweise von Tierärzten sei grundsätzlich: «Ich bin dafür da,

kranke Tiere zu behandeln», sagt Färber. «Und dafür sollten mir die

besten Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Wenn man bestimmte
Wirkstoffe wegnimmt, dann wird die Behandlung unter Umständen
schlechter sein.» Manche Stoffe könne man zwar eventuell durch ältere

Antibiotika ersetzen. Aber teilweise habe das dann sogar Nachteile im
Hinblick auf die Resistenzentwicklung.

Rückendeckung bekommt der Verband von der Nationalen
Forschungsplattform Zoonosen. Diese schreibt in einer Stellungnahme,
es fehle bisher der Beleg dafür, dass ein pauschales Verbot das
Vorkommen von Resistenzen in der Humanmedizin substanziell und
nachhaltig beeinflussen würde». Daher sei ein solches Verbot
unverhältnismäßig, heißt es beim Tierärzte-Verband. Schlussendlic
h
gehe es um die Frage: «Kann man als Tierarzt kranke Tiere adäquat
behandeln oder muss man bei bestimmten Erkrankungen Tiere
einschläfern?», sagt Färber.

Dieser Darstellung widerspricht Häusling vehement: Es sei kein
Hexenwerk, einen Satz zu Ausnahmeregeln für Einzeltierbehandlung in
die Verordnung zu schreiben. Für die meisten Stoffe gebe es zudem
gute Alternativen. Andere Länder, etwa Dänemark, machten zum Beispiel
vor, dass man in der Viehzucht auf Reserveantibiotika verzichten
könne. Außerdem: Sollte sein Veto durchkommen, passiere erst einmal
nichts - keine sofort in Kraft tretenden Verbote und auch keine
sterbenden Tiere. Die EU-Kommission sei zunächst lediglich
aufgefordert, neue Vorschläge zu unterbreiten.

Und letztlich könnte sein Veto sogar dem Verband in die Hände
spielen: Denn die EU-Kommission plane gar keine Ausnahmen für die
Einzeltierbehandlung, so wie er sie fordere. Möglicherweise fürchte
der Verband am Ende mehr um lukrative Einnahmequellen als um
Tierleben. Schließlich gebe es Praxen, die 80 Prozent ihres Umsatzes
mit dem Verkauf von Antibiotika für die Landwirtschaft
erwirtschafteten. Der einflussreiche Deutsche Tierschutzverband will
jedenfalls Häuslings Vorschlag unterstützen, allerdings nur, wenn
eindeutig geklärt ist, dass einzelne kranke Tiere - ob in der
Landwirtschaft oder zuhause - weiter die Mittel erhalten dürfen.