Ausgefischt? Krise deutscher Ostseefischerei spitzt sich zu Christopher Hirsch, dpa

09.10.2021 06:00

Dezimierte Fischbestände und sinkende Fangmengen - wie geht es weiter
mit der deutschen Ostseefischerei? Auf die Beratungen der EU-Minister
Anfang der Woche dürften schlechte Nachrichten folgen. Es gibt
Forderungen nach Änderungen bei der Regulierung.

Rostock (dpa) - Es steht nicht gut um die deutsche Ostseefischerei.
Über Jahre sind die wichtigsten Bestände eingebrochen und mit ihnen
die zulässigen Fangmengen. Anfang der Woche stehen den Fischern die
nächsten Hiobsbotschaften ins Haus - dann wollen die zuständigen
EU-Minister über die Fangmengen für das kommende Jahr entscheiden.

«Für die deutsche Fischerei ist es katastrophal», sagt Christopher
Zimmermann. Er leitet das Thünen-Institut für Ostseefischerei in
Rostock und berät im Rahmen des Internationalen Rates für
Meeresforschung (ICES) auch die EU-Kommission. «Wir haben in diesem
Jahr zum vierten Mal in Folge empfohlen, die Heringsfischerei
einzustellen.» Erstmals habe man zudem empfohlen, die Dorschfischerei
in der westlichen Ostsee soweit zu verringern, dass es nur noch für
Beifang, aber nicht mehr für eine zielgerichtete Dorschfischerei
reicht.

«Das ist für unsere deutsche Ostseefischerei zweifellos eine extreme
Belastung», erklärte Bundesagrarministerin Julia Klöckner am Freitag

mit. Hering und Dorsch in der westlichen Ostsee - diese Bestände sind
die Brotfische der deutschen Ostseefischer. Beim Hering der
westlichen Ostsee wurde die erlaubte Fangmenge laut Zimmermann von
2017 bis 2021 um 94 Prozent verringert. Sollten die EU-Agrar- und
Fischereiminister der ICES-Empfehlung folgen, käme es beim Dorsch der
westlichen Ostsee zu einer Reduzierung seit 2017 um mehr als 95
Prozent.

Die Folgen für die Fischer sind verheerend. Nach Angaben der
Anrainerländer Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein wurden
zuletzt etwas über 400 Berufsfischer an der Ostsee gezählt. 2010
waren es 650, Anfang der 90er Jahre mehr als 1300. Beide Länder
bieten bereits Abwrackprämien für Fischkutter.
Fischereigenossenschaften werden abgewickelt.

«Wir haben natürlich einen deutlich rückläufigen Trend», sagt Pet
er
Breckling, Generalsekretär des Deutschen Fischerei-Verbandes. Man
wolle im Küstenbereich wenigstens noch ein bisschen örtliche
Fischerei und Versorgung aufrechterhalten. Von der Politik fordert er
einen Plan, wie etwa die Infrastruktur in den Häfen künftig aussehen
soll: Wer beliefert etwa die wenigen verbliebenen Fischer mit Eis zur
Kühlung, wenn es vor Ort keine genossenschaftliche Eismaschine mehr
gibt.

Geht es nach Stella Nemecky, gibt es vorerst so gut wie gar keine
deutsche Ostseefischerei mehr. «Wir haben seit über 20 Jahren eine
legalisierte Überfischung in der Ostsee», kritisiert die
Fischereiexpertin der Umweltorganisation WWF. Der Klimawandel und
Überdüngung durch die Landwirtschaft spielten eine Rolle. «Aber die
Überfischung ist primärer Treiber.» Man könne auch nicht auf Sprott
e
oder Plattfische wie Scholle umsteigen, denen es vergleichsweise gut
geht. «Weil in allen Fällen auch Dorsch und Hering rausgenommen
werden.»

Selbst die von der EU-Kommission vorgeschlagene Herabsetzung der
maximalen Tagesfangmenge für Angler von fünf auf einen Dorsch pro Tag
reicht ihrer Meinung nach nicht aus. «Wir brauchen jeden Fisch.»

Zimmermann ist nicht wie Nemecky der Meinung, dass der Dorsch davon
bedroht sei zu verschwinden. Daher könne man auch eine Beifangmenge
für den Plattfischfang festlegen. Allerdings müsse die auch überwacht

werden und bei Erreichen des maximalen Beifangs auch die
Plattfischfischerei geschlossen werden. «Das wird aber nicht
kontrolliert und nicht umgesetzt.» Es sei zu befürchten, dass bei
knappen Fangmengen tote Dorsche aus der Schleppnetzfischerei einfach
über Bord geworfen werden.

Es gebe Netze, die etwa 80 Prozent der Dorschbeifänge verhinderten.
Allerdings sei deren Nutzung immer noch nicht verpflichtend. Zudem
sei die deutsche Schollenquote sehr niedrig. «Und deswegen ist es
finanziell und von der Masse her keine Alternative für das, was da
bei Dorsch und Hering wegbricht», sagt Zimmermann. Die Dänen hingegen
könnten ihre Quote gar nicht ausschöpfen.

Auch an anderer Stelle hakt es bei der Regulierung, wie Breckling vom
Fischerei-Verband erklärt. Während deutschen Fischern beim Hering der
westlichen Ostsee immer geringere Fangmengen zugestanden würden,
fischten etwa Norweger in deutlich größerem Umfang vom selben Bestand
- nur an anderer Stelle. Der Hering wandert, unter anderem auch in
den Skagerrak zwischen Dänemark und Norwegen. Daher sei ein Fangstopp
deutschen Fischern nicht zu vermitteln.

Das Problem scheint bei der Politik angekommen zu sein. Klöckner
forderte am Freitag auch für den Kattegat zwischen Dänemark und
Schweden sowie den Skagerrak entschlossene Schutzmaßnahmen. «Die
drastischen Kürzungen für die Ostseefischer bleiben ansonsten
wirkungslos.» Sie setze sich deshalb dafür ein, die Entscheidung über

den westlichen Hering erst auf dem Dezemberrat zu treffen, wenn auch
die Beschlüsse zum Heringsfang in der Nordsee und im Skagerrak auf
der Tagesordnung stehen. Zudem könnten so die Ergebnisse der
Fischereikonsultationen mit Großbritannien und Norwegen in die
Entscheidung einfließen.

Bisher fand die Festlegung der Fangmengen in der westlichen Ostsee im
Oktober und für für Kattegat und Skagerrak im Dezember statt. Auch
Experte Zimmermann würde eine Zusammenlegung begrüßen. «Weil sonst

die westliche Ostsee immer in Vorleistung geht und sich die anderen
dann darauf ausruhen.» Selbst wenn man jetzt an einem Punkt sei, an
dem man idealerweise nicht angelangt wäre, warnt er davor, die
Fischerei pauschal zu verbieten. «Fisch essen ist umweltfreundlicher
als alles, was wir so an Proteinen an Land erzeugen.»