Polen und Ungarn kämpfen vor EuGH gegen EU-Rechtsstaatsklausel

11.10.2021 04:35

Könnten Ungarn und Polen schon in Kürze EU-Gelder gekürzt werden? Vor

dem EuGH geht jetzt ein entscheidendes Verfahren in die Schlussphase.

Luxemburg (dpa) - Vor dem Europäischen Gerichtshof beginnt an diesem
Montag (14.30 Uhr) die mündliche Verhandlung zu den von Polen und
Ungarn eingereichten Klagen gegen den neuen
EU-Rechtsstaatsmechanismus. Die beteiligten Parteien können dabei den
zuständigen Richtern ihre Position erläutern. In dem beschleunigten
Verfahren dürfte das Gericht dann bereits in wenigen Monaten das mit
Spannung erwartete Urteil sprechen. (Rechtssachen C-156/21 und
C-157/21).

Das neue Mechanismus zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit sieht vor,
dass EU-Ländern Mittel aus dem Gemeinschaftsbudget gekürzt werden
können, wenn wegen Rechtsstaatsverstößen ein Missbrauch der Gelder
droht. Die Regierungen in Ungarn und Polen befürchten, dass das neue
Verfahren vor allem gegen sie eingesetzt werden soll. Kritiker werfen
ihnen vor, die Justiz entgegen den EU-Standards zu beeinflussen.

Beide Länder argumentieren nun vor dem EuGH, dass der sogenannte
Konditionalitätsmechanismus nicht mit dem geltenden EU-Recht
vereinbar sei. So dürfen aus polnischer Sicht für die Vergabe von
Geld aus dem EU-Haushalt einzig «objektive und konkrete Bedingungen»
gelten. Die EU habe keine Befugnis, den Begriff «Rechtsstaat» zu
definieren, heißt es aus Warschau.

Am vergangenen Donnerstag hatte das polnische Verfassungsgericht
dieser Sichtweise noch einmal Nachdruck veliehen, indem es ein höchst
umstrittenes Urteil zum Vorrang von nationalem Recht vor EU-Recht
fällte.

Für Polen und Ungarn könnte es in dem Rechtsstreit um erhebliche
Summen gehen. Aus dem regulären EU-Haushalt erhielt Polen zuletzt
netto rund 12,4 Milliarden Euro pro Jahr, Ungarn rund 4,7 Milliarden
Euro. Zudem rechnet Polen mit rund 23,9 Milliarden Euro an
Corona-Hilfen, Ungarn mit rund 7,2 Milliarden Euro.

Der Mechanismus zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit war im vergangen
Dezember nach langen EU-internen Diskussionen vom Europäischen
Parlament und dem Rat der Mitgliedstaaten per Mehrheitsentscheidung
beschlossen worden. Eine Einigung der Staats- und Regierungschefs
sieht allerdings vor, dass er erst dann angewendet werden soll, wenn
der EuGH über die Klage von Ungarn und Polen entschieden hat. Mit
diesem Zugeständnis wurden die Regierungen in Budapest und Warschau
im vergangenen Jahr dazu gebracht, eine Blockade von wichtigen
EU-Haushaltsentscheidungen aufzugeben.

Derzeit ist allerdings unklar, ob die zuständige EU-Kommission nicht
vielleicht schon vor dem Urteil erste Verfahren für Mittelkürzungen
einleiten wird. Grund dafür ist vor allem Druck des Europaparlaments.
Eine Mehrheit der Abgeordneten sieht den Deal der Staats- und
Regierungschefs als nicht bindend für die Kommission an und droht
sogar mit einer Untätigkeitsklage gegen die Behörde, wenn sie nicht
zügig handelt.