Ostsee: Fang von Hering und Dorsch wird stark eingeschränkt

12.10.2021 17:53

Die Krise der Ostseefischerei spitzt sich zu: Angesichts einer
drohenden Katastrophe für Dorsch und Hering darf 2022 viel weniger
gefangen werden. Ministerin Klöckner zeigt sich enttäuscht. Auch auf
Hobby-Angler kommen Einschränkungen zu.

Luxemburg (dpa) - Fischer dürfen in der westlichen Ostsee 2022 keinen
Dorsch mehr und Hering nur noch in Ausnahmen gezielt fangen. Die
EU-Länder einigten sich am Dienstag angesichts bedrohter Bestände
nach mehr als 24 Stunden Verhandlung darauf, dass beim Dorsch
lediglich Beifang in Höhe von knapp 490 Tonnen möglich sein soll und
nur noch 788 Tonnen Hering gefischt werden dürfen, wie aus einer
Mitteilung der EU-Länder hervorgeht. Für Deutschland sind es 435
Tonnen Hering und 104 Tonnen Dorsch.

Hintergrund sind drastische Bestandsrückgänge. Dorsch und Hering sind
in der Ostsee die für die deutsche Fischerei bisher wichtigsten
Fischarten. Gezielte Heringsfischerei mit Schleppnetzen wird
untersagt.

Das Bundeslandwirtschaftsministerium wies darauf hin, dass es dem
Beschluss nicht zustimme. Ministerin Julia Klöckner (CDU) hatte
vergeblich gefordert, dass über den westlichen Hering im Dezember
entschieden werden sollte, weil dieser Bestand in nördlichere
Gewässer wandert und auch andere Länder nach Hering fischen. Das
Ressort warf der EU-Kommission vor, sie habe unterschiedliche
Maßstäbe an die Befischung von Ostsee und Kattegat/Skagerrak
angelegt. Die heimischen Fischer an der Ostsee müssten drastische
Einschnitte hinnehmen, während weiter nördlich der Bestand abgefischt
werde.

Das erwartet auch der Direktor des Thünen-Instituts in Rostock,
Christopher Zimmermann. Damit bekomme der Heringsbestand keine
Chance, sich zu erholen.

Die deutsche Ostseefischerei stehe vor dem Aus, sagte der
Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Sascha
Müller-Kraenner. «Unter dem Strich ist das für die deutsche
Fischerei, das muss man ganz klar sagen, eine Katastrophe», sagte
Fischerei-Verbandssprecher Claus Ubl der Deutschen Presse-Agentur.
Dorsch und Hering seien die «Brotfische». «Und wenn die dermaßen
gekürzt werden, dass man sie nicht mehr gezielt befischen darf, dann
kann sich jeder ausrechnen, dass da kaum noch ein Fischer von
überleben kann», sagte Ubl. Einigen werde helfen, dass die Quoten für

Scholle und Sprotte angehoben wurden.

Klöckner kündigte an, sich für eine finanzielle Unterstützung der
Fischerei einzusetzen. Der Bund will mit den Ländern ausloten, ob
weitere «Abwrack-Maßnahmen» notwendig seien.

«Uns bleibt nicht mehr lange, um einen vollständigen Kollaps des
Ökosystems in der Ostsee zu verhindern», sagte der BUND-Vorsitzende
Olaf Bandt. Es sei ein Schritt in die richtige Richtung gemacht
worden. Neben zu hohen Fangmengen in den vergangenen Jahren habe der
Klimawandel einen negativen Einfluss auf die Population, betonte die
Organisation MSC, die sich für eine nachhaltige Fischerei einsetzt.
Greenpeace-Meeresbiologe Thilo Maack sagte, die Vollbremsung komme zu
spät und stürze die Ostseefischerei sehenden Auges in den Abgrund.

Die Einigung zum Hering enthält eine Ausnahmegenehmigung für
Fischerboote unter zwölf Meter, die mit «passivem Fanggerät», also

etwa Stellnetzen, weiterhin gezielt Heringe fischen dürfen. Auch
Hobby-Angler sind betroffen: Sie dürfen außerhalb der Schonzeit pro
Tag und Person nur noch einen Dorsch und einen Lachs fangen.

Werden angesichts der Einschnitte nun auch Dorschfilet und
Matjesbrötchen wesentlich teurer? Wohl eher bedingt. «Die Fangmengen
in der Ostsee spielen für die Preisgestaltung auf den internationalen
Märkten kaum eine Rolle», sagte ein Sprecher des Umweltministeriums
in Kiel.

«Die starke Reduzierung der erlaubten Fänge vom westlichen Dorsch ist
richtig, kommt allerdings zu spät», sagte der Kieler Fischereiexperte
Rainer Froese. «Bereits im letzten Jahr war absehbar, dass es nur
noch einen Jahrgang von Dorschen gibt anstatt der üblichen zehn bis
zwölf - und dass sich dieser bisher nicht erfolgreich fortgepflanzt
hat.» Wäre die Einstellung gezielter Fänge bereits im letzten Jahr
beschlossen worden, wie vom Geomar-Forschungsinstitut und von Kieler
Fischern gefordert, gäbe es jetzt eine Millionen mehr Laichdorsche
und die Chancen für eine Erholung des Bestandes wären deutlich
besser.

«So wie es jetzt steht können wir nur hoffen, dass der Dorschbestand
nicht bereits verloren ist», sagte Froese. «Die wenigen verbliebenen
Dorsche müssen daher ganz dringend geschützt werden.»

«Das Verbot der gezielten Fischerei ist notwendig, um den Beständen
Erholungschancen zu eröffnen», erklärte die Kieler
Umweltstaatssekretärin Doris Kuhnt. «Trotzdem steht die deutsche
Ostseefischerei vor der größten Herausforderung ihrer Geschichte und
ich mache mir große Sorgen um unsere Betriebe und ihre Familien im
Land.» Jetzt werde ein neues Gesamtkonzept zur Zukunft der deutschen
Ostseefischerei benötigt. Gegenüber dem letzten Jahr bedeuteten die
Beschlüsse beim Hering eine weitere Reduzierung der Fangquote um 50
Prozent und beim Dorsch um 88 Prozent.

Die Schonzeit für Dorsch wurde um 15 Tage verlängert. Sie beginnt nun
am 15. Januar und endet am 31. März. Bei den für die deutsche
Fischerei ebenfalls noch interessanten Arten Scholle und Sprotte
wurden die Fangmengen um 25 beziehungsweise 13 Prozent angehoben.

«Das ist niederschmetternd für die Küstenfischerei in
Schleswig-Holstein und in Mecklenburg-Vorpommern», sagte der
Vize-Landesvorsitzende des Fischereiverbandes in Schleswig-Holstein,
Benjamin Schmöde. Die Entwicklung in den vergangenen zehn Jahren sei
schlimm. Ein «Lichtlein am Ende des Tunnels» gebe es mit der Anhebung
der Quoten für Sprotte und Scholle. «Das kann die Quotenverluste
insgesamt aber bei weitem nicht ausgleichen.»