Fang von Hering und Dorsch in Ostsee wird stark eingeschränkt

12.10.2021 19:42

Die Krise der Ostseefischerei spitzt sich zu: Angesichts einer
drohenden Katastrophe für viele Bestände darf 2022 deutlich weniger
gefangen werden. Ministerin Klöckner zeigt sich nach der Entscheidung
enttäuscht. Auch auf Hobby-Angler kommen Einschränkungen zu.

Luxemburg/Schwerin (dpa) - Fischer dürfen in der westlichen Ostsee
2022 keinen Dorsch mehr fangen - und Hering nur noch in Ausnahmen
gezielt. Die EU-Länder einigten sich am Dienstag angesichts bedrohter
Bestände nach mehr als 24 Stunden Verhandlung darauf, dass beim
Dorsch lediglich Beifang in Höhe von knapp 490 Tonnen möglich sein
soll und nur noch 788 Tonnen Hering gefischt werden dürfen, wie aus
einer Mitteilung der EU-Länder hervorgeht. Gezielte Heringsfischerei
mit Schleppnetzen wird untersagt.

In diesem Jahr dürfen EU-weit noch 1600 Tonnen westlicher Hering und
4000 Tonnen westlicher Dorsch gefangen werden. Hintergrund der neuen
Regeln sind besorgniserregende Entwicklungen vieler Fischbestände in
der Ostsee.

In einer Mitteilung wies das Bundeslandwirtschaftsministerium darauf
hin, dass es dem Beschluss nicht zustimme. Agrarministerin Julia
Klöckner (CDU) hatte vergeblich gefordert, dass über den westlichen
Hering im Dezember entschieden werden sollte, weil dieser Bestand in
nördlichere Gewässer wandert und auch andere Länder ihn fischen.

Verhandlungen mit diesen Ländern sind für Dezember angesetzt.
Klöckner befürchtet, dass eine strikte EU-Entscheidung für die Ostsee

andere Länder zu einer hohen Fangmenge in anderen Meeren verleiten
könnte. Das erwartet auch der Direktor des Thünen-Instituts,
Christopher Zimmermann. Die Folge werde sein, dass der Heringsbestand
keine Chance bekomme, sich zu erholen.

Weitgehend einig sind sich der Deutsche Fischereiverband,
Naturschützer und Ministerium in den Auswirkungen für die deutsche
Ostseefischerei: Sie stehe vor dem Aus, sagte der
Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Sascha
Müller-Kraenner.

Mecklenburg-Vorpommerns Agrarminister Till Backhaus (SPD) beklagte,
dass die jüngste Entscheidung erneut zu Lasten der deutschen
Fischerei gehe. Vor allem das strukturschwache Vorpommern, das ein
Hauptfanggebiet für Hering sei, leide darunter. Backhaus forderte,
den Bestand an Ostsee-Hering als Ganzes zu betrachten und so zu
bewirtschaften, dass keine Fischereiregion mehr massiv benachteiligt
werde. Von den bisherigen Entscheidungen hätten immer wieder dänische
und schwedische Fischer profitiert, die überwiegend mit größeren
Kuttern fischen. «Es darf nicht sein, dass der Fischerei dort mehr
Fangmöglichkeiten eingeräumt werden als im Laichgebiet vor der
vorpommerschen Küste», verlangte Backhaus.

«Unter dem Strich ist das für die deutsche Fischerei, das muss man
ganz klar sagen, eine Katastrophe», sagte Fischerei-Verbandssprecher
Claus Ubl der Deutschen Presse-Agentur. Dorsch und Hering seien die
«Brotfische». «Und wenn die dermaßen gekürzt werden, dass man sie

nicht mehr gezielt befischen darf, dann kann sich jeder ausrechnen,
dass da kaum noch ein Fischer von überleben kann», sagte Ubl. Und
«wenn ich keinen Fisch fange, kann ich auch Strukturen wie
Kühlhäuser, Eismaschinen und anders nicht mehr halten - und wenn die
einmal weg sind, sind sie weg.» Dass die Quoten für Scholle und
Sprotte angehoben wurden, werde einigen Fischern helfen, zu
überleben.

Klöckner sprach von «massivsten Einschnitten» für die Fischerei. Si
e
kündigte an, sich für eine finanzielle Unterstützung der Fischerei
einzusetzen. Der Bund will mit den Ländern ausloten, ob weitere
«Abwrack-Maßnahmen» notwendig seien.

Umweltschutzorganisationen reagierten mit gemischten Gefühlen auf das
Ergebnis: «Uns bleibt nicht mehr lange, um einen vollständigen
Kollaps des Ökosystems in der Ostsee zu verhindern», teilte
BUND-Vorsitzende Olaf Bandt mit. Es sei aber ein Schritt in die
richtige Richtung gemacht worden. Neben zu hohen Fangmengen in den
vergangenen Jahren habe auch der Klimawandel einen negativen Einfluss
auf die Populationsentwicklung, betonte die Organisation MSC, die
sich für eine nachhaltige Fischerei einsetzt.

Die EU-Länder folgen beim Hering dem Vorschlag der EU-Kommission,
beim westlichen Dorsch übersteigt die Einigung den Vorschlag der
Brüsseler Behörde um rund 165 Tonnen. Für Deutschland bedeutet das,
dass 435 Tonnen westlicher Hering und 104 Tonnen westlicher Dorsch
gefangen werden dürfen.

Die DUH kritisiert, dass die Entscheidung hinter den Vorschlägen der
Kommission zurückbleibe. Zahlreiche Organisationen für Umweltschutz
kritisieren schon seit Jahren zu hohe Fangmengen.
Greenpeace-Meeresbiologe Thilo Maack sprach davon, dass die nun
beschlossene «Vollbremsung» zu spät komme und die Ostseefischerei
sehenden Auges in den Abgrund stürze, weil die EU-Länder jahrelang
die Warnungen von Wissenschaft und Umweltschützern ignoriert hätten.

In der Einigung zum Hering findet sich auch eine Ausnahmegenehmigung
für Fischerboote unter zwölf Meter, die mit «passivem Fanggerät»,

also etwa Stellnetzen, weiterhin gezielt Heringe fischen dürfen, wie
eine Sprecherin des Bundesagrarministeriums bestätigte.

Doch nicht nur auf Berufsfischer kommen Einschränkungen zu, auch
Hobby-Angler sind betroffen: Sie dürfen außerhalb der Schonzeit pro
Tag und Person nur noch einen Dorsch und einen Lachs fangen. «Der
Fischereistopp hätte auch für die Angelfischerei gelten müssen»,
sagte Maack. Es sei kaum zu kontrollieren, ob sich alle an das Limit
hielten.

Nach Ansicht von Backhaus verlieren Anbieter von Angeltouren mit der
strikten Reglementierung vielfach ihre wirtschaftliche Basis. «Denn
für einen Fisch pro Tag bucht kaum ein Angler eine Kutterausfahrt»,
sagte der Minister. Glücklicherweise sei aber das vom ICES empfohlene
totale Fangverbot für den Lachs verhindert worden. Küstenangler
könnten einen Lachs pro Tag fangen und mitnehmen, wenn es sich um
einen markierten Fisch aus künstlicher Aufzucht handelt.