EU-Kommission präsentiert «Toolbox» gegen hohe Energiepreise Von Laura Dubois, dpa

13.10.2021 21:15

Die Europäische Kommission hat lang erwartete Vorschläge gegen die
immer höheren Energiepreise gemacht. Was genau können Mitgliedstaaten
tun, ohne die Wettbewerbsgesetze zu verletzen?

Brüssel (dpa) - Steuern senken, ärmeren Haushalten Geld zahlen, in
erneuerbare Energien investieren: Diese und weitere Mittel können
EU-Länder nach Ansicht der Europäischen Kommission gegen die rasant
steigenden Energiepreise anwenden. Energiekommissarin Kadri Simson
stellte am Mittwoch eine sogenannte «Toolbox» mit Werkzeugen vor, die
die Staaten anwenden können, ohne gegen die europäischen
Wettbewerbsregeln zu verstoßen. Darunter sind Notfallmaßnahmen, aber
auch Vorschläge für mittelfristige Reformen. Um folgende Maßnahmen
geht es konkret:

Gezielte Unterstützung von Haushalten und Unternehmen

EU-Länder können Haushalten, die höhere Strom- und Heizkosten nicht
alleine stemmen können, durch direkte Zahlungen unterstützen. Dies
könne zum Beispiel durch die Gelder aus dem Emissionshandel
finanziert werden, schrieb die Kommission in ihrer Mitteilung. Kleine
Unternehmen könnten Subventionen bekommen. Das Institut der Deutschen
Wirtschaft (IW) begrüßte diesen Vorschlag, da die Preise des Marktes
dadurch nicht verzerrt würden, Betroffene jedoch Unterstützung
bekämen. Frankreich hat solche Maßnahmen unter anderem bereits
ergriffen und will ärmeren Haushalten je 100 Euro zahlen.

Auch Steuererleichterungen könnten Verbraucher entlasten, so die
Kommission. In der Regel setzen sich Stromrechnungen nicht nur aus
dem Großhandelspreis für Elektrizität zusammen, sondern auch aus
Steuern, Umlagen und Netzentgelten, die erlassen werden könnten. Das
IW nennt diese Maßnahme den «wohl wirkungsvollsten Pfeil im
EU-Köcher». In Italien übernimmt der Staat bereits bestimmte
Netzentgelte. Deutschland hat beschlossen, die EEG-Umlage zur
Förderung des Ökostroms zu senken. Eine zusätzliche Senkung der
Stromsteuer auf das europäische Minimum würde Strom laut dem IW um
ein Drittel günstiger machen - damit könne eine vierköpfige Familie
rund 430 Euro im Jahr sparen.

Die Kommission betonte, dass die Mittel nur vorübergehend angewendet
werden sollen. Die Brüsseler Behörde hält den derzeitigen Anstieg der

Energiepreise für temporär, da er vor allem von einer hohen Nachfrage
während der Erholung von der Pandemie getrieben wird. Die Situation
werde sich demnach spätestens im Frühling stabilisieren.

Mehr Zusammenarbeit auf dem Gasmarkt

Als mittelfristige Entlastung will die EU-Kommission eine gemeinsame
Lagerung von strategischen Gasreserven prüfen. «Heute sind Gaslager
nicht überall in der EU verfügbar und ein integrierterer europäischer

Ansatz könnte potenziell Kosten optimieren und gegen
Preisschwankungen schützen», sagte Simson. Außerdem erwägt die
Kommission gemeinsame Gaseinkäufe zu organisieren, um die
Verhandlungsposition von Staaten zu verbessern. Spanien, Frankreich,
Griechenland, Tschechien und Rumänien hatten dies in einem Papier
vergangene Woche gefordert. Wie genau solch ein Programm aussehen
könnte, ist jedoch noch unklar. Freiwillige gemeinsame Einkäufe
könnten Teil eines Gesetzesvorschlags für eine Reform des Energie-
und Gasmarktes im Dezember werden, sagte Simson.

Hintergrund ist, dass die Gasreserven der EU-Länder nach dem harten
vergangenen Winter ungewöhnlich niedrig sind. Außerdem ist die EU
stark von Gasimporten aus dem Ausland abhängig: Rund 90 Prozent des
Erdgases in der EU wird der Kommission zufolge importiert. In dem
Kontext untersucht die Kommission laut Simson auch mögliche
Manipulation und Spekulation am Gasmarkt, unter anderem auch Vorwürfe
gegen den russischen Lieferanten Gazprom.

Mögliche Reform des europäischen Strommarktes

Die Kommission will sich den Aufbau des europäischen Strommarktes
genauer anschauen. Sie habe eine Studie bei der EU-Energieagentur
ACER in Auftrag gegeben, die erste Ergebnisse Mitte November liefern
solle, sagte Simson. Die Ergebnisse könnten auch in den
Gesetzesvorschlag im Dezember fließen.

Frankreich hatte gefordert, das System zur Bestimmung der
europäischen Strompreise für den Großhandel zu ändern. In der EU
bestimmt immer die teuerste genutzte Energiequelle die Strompreise.
Zunächst wird der Bedarf durch günstige, erneuerbare Energie gedeckt.
Steigt die Nachfrage, werden zum Beispiel auch teure Gaskraftwerke
eingeschaltet - dann klettern die Preise für alle hoch. Frankreich
findet das System ungerecht, da das Land viel billigen Atomstrom
produziert, sich aber trotzdem an den im Zweifel teureren Preisen
orientieren muss. Simson sagte hingegen, dass der jetzige Aufbau des
Marktes sich bewährt habe und neue Investitionen in erneuerbare
Energien fördere.

Schnellere Umsetzung der Energiewende

Die Kommission drängt Mitgliedstaaten, die Energiewende zu
beschleunigen, um die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen am
Energiemarkt zu reduzieren. «Letztendlich ist die Lösung die gleiche,
ob bei den Preisen, der Sicherung des Energievorrats oder beim Klima:
lokale, erschwingliche, erneuerbare Energien voranbringen», sagte
Simson. Einige Länder wie Polen hatten die Umweltmaßnahmen der EU für

den Preisanstieg verantwortlich gemacht, vor allem den steigenden
Preis von Kohlenstoffdioxid (CO2) im Emissionshandel. Auch Spanien
hatte vor Spekulation am Emissionsmarkt gewarnt. Im
Emissionshandelssystem der EU müssen etwa Stromanbieter für den
Ausstoß von Treibhausgasen wie CO2 Zertifikate erwerben, die am Markt
gehandelt werden.

Simson betonte, dass der CO2-Preis den Strompreis nur wenig
beeinflusse. Der hohe Gaspreis habe einen neun Mal höheren Effekt auf
den Strompreis. Die Kommission werde allerdings jegliches
wettbewerbswidriges Verhalten auf dem CO2-Markt prüfen, sagte Simson.