«Kein Krieg, aber Gefecht»: Fischereistreit im Ärmelkanal eskaliert Von Benedikt von Imhoff und Violetta Heise, dpa

28.10.2021 20:45

Im Mai schickten London und Paris bereits Kriegsschiffe in den
Ärmelkanal. Nun spitzt sich der Streit um Fischereirechte erneut zu.
Vor allem aus Frankreich kommen martialische Töne.

London/Paris (dpa) - Im Brexit-Streit zwischen London und Paris um
Fischereirechte im Ärmelkanal verschärft Frankreich den Ton. «Es ist

kein Krieg, aber ein Gefecht», sagte die Ministerin für
Meeresangelegenheiten, Annick Girardin, am Donnerstag dem Radiosender
RTL. «Wir haben Fangrechte. Die müssen wir verteidigen und wir
verteidigen sie.» Europa-Staatssekretär Clément Beaune wiederholte im

Sender CNews die Drohung, britische Boote künftig scharfen Zoll- und
Sicherheitskontrollen zu unterziehen. «Wir werden keine Toleranz
zeigen, keine Nachsicht.» Damit will Paris London dazu bringen, mehr
französische Boote in britischen Gewässern fischen zu lassen.

Neueste Maßnahme: Weil es angeblich nicht die erforderlichen Lizenzen
für die Fischerei in französischen Gewässern hat, wurde ein
britisches Boot von der französischen Küstenwache nach Le Havre
geleitet, wie Girardin twitterte. Im Raum stehen eine Geldstrafe und
die Beschlagnahme des Fangs. Die BBC kommentierte: «Das nennt man
einen Schuss vor den Bug.» Gibt es grundsätzlich keine Einigung,
sollen britische Boote ab Montag bestimmte französische Häfen nicht
mehr ansteuern dürfen. Auch Lastwagen sollen genau geprüft werden.

Immer wieder droht Frankreich zudem, Stromlieferungen nach
Großbritannien zu stoppen. Die britische Regierung zeigte sich empört
und erwägt nun Gegenmaßnahmen. Das französische Vorhaben stehe sehr
wahrscheinlich nicht in Einklang mit internationalem Recht sowie dem
Brexit-Vertrag, betonte Brexit-Minister David Frost.

Ein Regierungssprecher sagte: «Wir sind bereit, angemessen zu
reagieren.» London habe der EU und Frankreich seine Bedenken
übermittelt. «Die gestern Abend geäußerten Drohungen sind
enttäuschend, unverhältnismäßig und grundsätzlich nicht, was wir
von
einem engen Alliierten und Partner erwarten», sagte der Sprecher. Für
Freitag wurde die französische Botschafterin ins britische
Außenministerium einbestellt, um die «enttäuschenden und
unverhältnismäßigen Drohungen gegen Großbritannien und die
Kanalinseln» zu erklären.

Der Fischereistreit schwelt seit langem. Hintergrund ist die Frage,
wie viel ausländische Fischer nach dem Brexit in britischen Gewässern
fangen dürfen. Bereits in den Verhandlungen über den Handelspakt der
Briten mit der EU war dies die am heftigsten umstrittene Frage, die
eine Einigung zeitweise fast unmöglich zu machen schien. Auf EU-Seite
waren es vor allem die Franzosen, die sich unnachgiebig zeigten, das
Thema wird seit jeher äußerst emotional behandelt und spielt mit
uralten Ressentiments gegen das jeweils andere Land.

Paris vertritt den Standpunkt, dass vor allem für die fischreichen
Gewässer um die Kanalinsel Jersey, die zwar zur britischen Krone,
aber nicht zum Vereinigten Königreich gehört, zu wenig Lizenzen für
französische Boote erteilt wurden. Anfang Mai blockierten Dutzende
französische Fischer aus Protest den Jersey-Hafen Saint Helier,
sowohl London als auch Paris schickten je zwei Kriegsschiffe vor die
Insel. Die britische Regierung betont, 98 Prozent aller Anträge von
EU-Fischern sei stattgegeben worden. Hingegen schimpfte Ministerin
Girardin, es seien nur 90 Prozent - und bei den fehlenden 10 Prozent
handle es sich «offensichtlich» um Franzosen.

In Großbritannien sind die Töne weniger martialisch, doch nachgeben
will niemand. Rund ein halbes Jahr vor der Präsidentschaftswahl in
Frankreich politisiere die französische Regierung das Thema, sagte
der Chef des britischen Verbunds der Fischereiorganisationen, Barrie
Deas, dem Sender BBC Radio 4. «Es ist ein bisschen seltsam, weil die
französischen Flotten in britischen Gewässern viel mehr fischen als
wir in ihren Gewässern», sagte Deas. Der Schiffseigentümer sieht sich

als Opfer eines größeren Konflikts. Die «Cornelis Gert Jan» sei leg
al
auf der Suche nach Jakobsmuscheln gewesen. Das Schiff sei nun ein
«Pfand», sagte der Chef von MacDuff Shellfish, Andrew Brown.