Wie Europa das Netz umkrempelt - EU-Staaten positionieren sich Von Michel Winde, dpa

25.11.2021 05:30

Weniger Hass, weniger gefälschte Produkte und mehr Fairness im Netz -
dafür wollen die EU-Staaten mit ihrer Position zu zwei wegweisenden
Digital-Gesetzen sorgen. Deutschland will zwar zustimmen, hält die
Vereinbarung aber in Teilen für unzureichend.

Brüssel (dpa) - Die Dominanz des Stärkeren, Lauteren oder Ruchloseren
im Internet soll in der EU bald ein Ende haben. Heute legt der Rat
der EU-Staaten seine Verhandlungsposition bei zwei wegweisenden
Gesetzen fest: dem Gesetz über digitale Märkte (Digital Markets Act,
DMA) und dem Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act,
DSA). Beide zusammen könnten das Internet deutlich verändern.
Tech-Riesen wie Google und Facebook werden unter Androhung hoher
Strafen mehr Pflichten auferlegt, die Rechte von Verbrauchern besser
geschützt. Die EU könnte damit - wie schon beim Datenschutz -
weltweit Standards setzen. Doch so weit ist es noch nicht.

Worum geht es heute konkret?

Die für Binnenmarkt und Wettbewerb zuständigen Ministerinnen und
Minister der EU-Staaten treffen sich in Brüssel. Sie stimmen über
ihre Position zum DMA und zum DSA ab. Die EU-Kommission hatte das
Digital-Paket im Dezember 2020 vorgelegt. Binnenmarktkommissar
Thierry Breton kündigte damals an: «Mit den heutigen Vorschlägen
gestalten wir unseren digitalen Raum für die nächsten Jahrzehnte.» Es

werde dafür gesorgt, dass alle, «die digitale Dienste in Europa
anbieten und nutzen, von Sicherheit, Vertrauen, Innovation und
Geschäftsmöglichkeiten profitieren».

Das Gesetz über digitale Märkte soll dabei die Marktmacht einiger
weniger Digital-Riesen wie Google, Facebook und Amazon einhegen. Das
Gesetz über digitale Dienste geht die gesellschaftlichen Fragen an,
etwa den Umgang mit illegalen Inhalten im Netz.

Die Botschafter der EU-Staaten haben sich bei beiden Gesetzen bereits
auf eine Position festgelegt. Der Ministerrat soll diese Linie nun
formell verabschieden. Staatssekretärin Claudia Dörr-Voß aus dem
Wirtschaftsministerium soll die amtierende Bundesregierung vertreten.

Wie sieht die Position der EU-Staaten im Detail aus?

Grundsätzlich sind die EU-Staaten nah an den Vorschlägen der
EU-Kommission. Der DMA zielt auf Gatekeeper (Torwächter) im Netz, die
eine erhebliche Auswirkungen auf den Binnenmarkt haben. Die Position
der EU-Staaten sieht vor, dass Plattformen wie Suchmaschinen oder
Soziale Netzwerke mit mindestens 45 Millionen aktiven monatlichen
Nutzern in der EU oder 10 000 jährlichen Geschäftskunden dazu
gehören. Beim Jahresumsatz liegt die Schwelle bei 6,5 Milliarden
Euro.

Diese Gatekeeper müssen es nach dem Willen der EU-Staaten unter
anderem ermöglichen, vorinstallierte Apps auf den eigenen Geräten
deinstallieren zu können. Auch dürfen die Gatekeeper eigene Produkte
und Angebote nicht mehr bevorzugt gegenüber denen der Konkurrenz
behandeln - das würde etwa Amazon treffen. Zudem dürfen die
Gatekeeper Mitbewerbern nicht verbieten, das gleiche Angebot woanders
günstiger anzubieten.

Durchsetzen soll all das die EU-Kommission. Unter anderem auf Drängen
Deutschlands sollen jedoch auch die nationalen Wettbewerbsbehörden
Ermittlungen starten und die Erkenntnisse an die Brüsseler Behörde
weiterleiten können. Das mögliche Strafmaß bei Verstößen liegt be
i
bis zu zehn Prozent des Jahresumsatzes. «Strukturelle
Abhilfemaßnahmen» - also etwa eine Aufspaltung des Unternehmens -
sollen nur in absoluten Ausnahmefällen verhängt werden.

Und beim Gesetz über digitale Dienste?

Auch hier halten sich die EU-Staaten recht nah an den Vorschlag der
EU-Kommission. Grundsätzlich ist das Ziel, dass das, was offline
verboten ist, auch online verboten sein soll - etwa der Verkauf
gefälschter Produkte oder illegale Hassrede. Dabei gilt: Je größer
die Plattform, desto mehr Regeln muss sie beachten. Neu ist, dass die
EU-Staaten sogenannte manipulative «Dark Pattern» verbieten wollen.
Der Text definiert diese als «Designtechniken, die Verbraucher zu
unerwünschten Entscheidungen drängen oder täuschen, die negative
Folgen für sie haben». Dies kann Werbung sein, die als normaler
Inhalt getarnt ist, oder auch extrem unübersichtliche Einstellungen
der Privatsphäre. Als Strafen sind beim DSA bis zu sechs Prozent des
Jahresumsatzes vorgesehen.

Warum ist Deutschland mit dieser Position nicht voll zufrieden?

Deutschland war in den vergangenen Jahren unter anderem mit dem
Netzwerkdurchsetzungsgesetz gegen Hass, Hetze und Terror-Propaganda
vorgeprescht. Nun ist die amtierende Bundesregierung der Ansicht,
dass die Ratsposition beim DSA in Teilen hinter nationale Regelungen
zurückfällt. Deshalb hat die deutsche Vertreterin eine
Zusatzerklärung abgegeben, als die EU-Botschafter über den DSA
abgestimmt haben. In dem Text, der der Deutschen Presse-Agentur
vorliegt, heißt es, «dass zur Gewährleistung einer noch höheren
Wirksamkeit des DSA weitere Verbesserungen notwendig sind».

Unter anderem wird die Befürchtung geäußert, der Kinder- und
Jugendmedienschutz könnte abgeschwächt werden. Auch fordert die
Bundesregierung, Löschpflichten und -fristen für sehr große
Online-Plattformen strenger zu gestalten. Deutschland will der
gemeinsamen Linie der EU-Staaten zwar zustimmen, setzt für
Verbesserungen aber auf die Verhandlungen mit dem Europaparlament.

Wie geht es jetzt weiter?

Bevor DMA und DSA Realität werden, müssen die EU-Staaten und das
Parlament sich noch auf eine gemeinsame Linie einigen. Das Parlament
muss dazu zunächst noch die eigene Position festzurren. Endgültig
soll das Mitte Dezember geschehen. Unter der französischen
EU-Ratspräsidentschaft sollen die Verhandlungen dann in der ersten
Jahreshälfte 2023 abgeschlossen werden.

Von den Konzernen kommt zum Teil Gegenwind. So kritisiert Apple, der
DMA könnte Sicherheit und Privatsphäre der iPhone-Nutzer gefährden,
wenn das Laden von Apps aus anderen Plattformen erzwungen werde.
Facebook warnte vor zu strikten politischen Vorgaben, die
Innovationen abzuwürgen drohten.