Innenminister tagen - Debatte um Migrationskrise an EU-Außengrenze

01.12.2021 20:22

Tausende Migranten und Flüchtlinge warten an den EU-Außengrenzen. Wie
geht man damit um? Die Meinungen der Innenminister gehen auseinander.

Stuttgart (dpa) - Vor dem Hintergrund der sich zuspitzenden
Corona-Pandemie und der Migrationskrise an der EU-Außengrenze sind
die Innenminister der Länder zu ihrer Herbstkonferenz
zusammengekommen. Das dreitägige Treffen findet aufgrund der hohen
Infektionszahlen in einem hybriden Format statt - ein Teil der
Ressortchefs tagt in Präsenz im Stuttgarter Innenministerium, die
Mehrheit der Minister und Mitarbeiter wird digital zugeschaltet.

Der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Thomas Strobl, griff die
Ampelparteien in Berlin zum Auftakt scharf für ihre Migrationspolitik
an. Die Koalitionsvereinbarungen von SPD, Grünen und FDP hätten die
Migration «auf grün gestellt. Ihr Kinderlein kommet», sagte der
CDU-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. Die Union hingegen wolle
Migration steuern - und sehe, dass es oft Probleme gebe in
Erstaufnahmeeinrichtungen. «Da kann es einen Unterschied geben
zwischen denen, die im Berliner Wolkenkuckucksheim Dinge vereinbaren,
und den Innenministern - auch der SPD -, die vor Ort die Probleme
lösen müssen.»

Strobl äußerte sich auch zu Abschiebungen nach Syrien. Diese seien
zwar praktisch schwierig. Aber dort, wo Rückführungen möglich seien,

sei er nach wie vor der Auffassung, dass man sie machen sollten.

Angesichts der Migrationskrise zwischen Belarus und der EU hatte
Strobl vor wenigen Tagen einen besseren Schutz der Grenzen gefordert
- bis hin zu deren Schließung als «ultima ratio». Das
Bundesinnenministerium solle aufgefordert werden, geeignete Maßnahmen
zur Unterbindung der Einschleusung von Asylsuchenden zu ergreifen.

Der Sprecher der SPD-geführten Länder der Innenministerkonferenz hält

aber nichts von Grenzschließungen. «Eine Grenzschließung zur Abwehr
von Migranten ist kein taugliches Mittel», sagte der niedersächsische
Innenminister Boris Pistorius der dpa. Das würde den Hauptnerv der
Europäischen Union kappen, nämlich den freien Waren-,
Dienstleistungs- und Personenverkehr, und würde Probleme für die
Wirtschaft verursachen. Außerdem könne man die EU-Außengrenzen nicht

«100-prozentig wasserdicht» machen. «Wer immer das behauptet und
fordert und den Eindruck erweckt, man könne das, macht sich und
anderen etwas vor.»

Brandenburg und Sachsen wollen sich auf der Konferenz für härtere
Strafen zur Bekämpfung der Schleuserkriminalität und eine Begrenzung
der illegalen Einwanderung einsetzen - insbesondere soll die
sogenannte Sekundärmigration aus Griechenland beraten werden. Dabei
geht es um Migranten, die in Griechenland bereits als Flüchtlinge
anerkannt worden seien und nach Deutschland einreisen.

Auch Hessen plädiert für höhere Mindeststrafen für Schleuser. Kün
ftig
sollte Tätern mindestens eine Haftstrafe von sechs Monaten drohen,
die nicht mehr ersatzweise mit einer Geldstrafe abgegolten werden
kann, erklärte Innenminister Peter Beuth (CDU) im Vorfeld. Bisher
drohen Freiheitsstrafen von mindestens drei Monaten, Geldstrafen sind
möglich.

Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) dringt darauf,
dass der Bund wieder «belastbare Prognosen» erstellt, wie viele
geflüchtete Menschen innerhalb eines Jahres in Deutschland zu
erwarten sind. «Wir wollen nicht von Migrationsströmen überrascht
werden», sagte sie. Die letzte Zugangsprognose des Bundes gab es laut
Zieschang im Jahr 2015. Die Ministerin will auf der Konferenz auch
das Problem ansprechen, dass einige Länder bei der Rücknahme von
Ausreisepflichtigen nicht kooperieren.

Neben der Migration gibt es viele weitere Themen. Strobl sprach von
mehr als 80 Tagesordnungspunkten. Er beschrieb unter anderem den
Kampf gegen Hasskriminalität und Antisemitismus als Schwerpunkt der
Konferenz. «Wir wollen uns als Innenminister wie ein Bollwerk gegen
Hass und Hetze stellen», sagte er. Am Donnerstag wollen die
anwesenden Ressortchefs eine Stuttgarter Synagoge besuchen und eine
«Stuttgarter Erklärung» gegen Antisemitismus verabschieden.

Die Innenminister feilen außerdem an einem neuen
Bund-Länder-Kompetenzzentrum für Krisenmanagement. Der
rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) fordert
hingegen eine erneute bundesweite Waffenamnestie. Dem stehe er
grundsätzlich nicht ablehnend gegenüber, sagte Strobl.

Konfliktpotenzial sieht der IMK-Chef eher bei der Bekämpfung von
Cyberkriminalität. So müsse die Polizei auch Messengerdienste wie
Telegram überwachen und digitale Sicherheitslücken nutzen können,
sagte Strobl. Da tue sich die Ampelkoalition schwer. Die
Sicherheitsbehörden müssten die Möglichkeiten haben, Cybercrime zu
bekämpfen, sonst seien sie blind und taub. «Hier sind wir noch nicht
in allen Fragen einig.»

Die Innenminister von Bund und Ländern treffen sich in der Regel
zweimal jährlich. Baden-Württemberg hat in diesem Jahr den Vorsitz
inne. Die Konferenz in Stuttgart findet diesmal in einem hybriden
Format statt. Vor Ort sind auch der Sprecher der SPD-geführten
Länder, Pistorius, und der Sprecher der unionsgeführten Länder,
Joachim Herrmann (CSU) aus Bayern. Der scheidende Bundesinnenminister
Horst Seehofer (CSU) nimmt nicht teil - stattdessen nimmt sein
Staatssekretär Hans-Georg Engelke an den Beratungen teil.