Bundesbank-Präsident Nagel: Bei Gefahren für Preisstabilität handeln

11.01.2022 12:35

Neuer Präsident, alte Themen: Bei der Bundesbank übergibt nach zehn
Jahren im Amt Jens Weidmann die Geschäfte an Joachim Nagel. Das
Ringen um einen Ausstieg aus dem EZB-Billiggeldkurs geht weiter.

Frankfurt/Main (dpa) - Der neue Bundesbank-Präsident Joachim Nagel
sieht die gestiegenen Teuerungsraten mit Sorge und verspricht einen
entschiedenen Einsatz für eine stabile Währung. Er sehe «derzeit eher

die Gefahr, dass die Inflationsrate länger erhöht bleiben könnte als

gegenwärtig erwartet», sagte Nagel am Dienstag bei einer im Internet
übertragenen Feier anlässlich der Amtsübernahme von Vorgänger Jens

Weidmann. Der mittelfristige Preisausblick sei «außergewöhnlich
unsicher». Nagel betonte an die Adresse der Europäischen Zentralbank:
«Bei aller Unsicherheit ist eines ganz klar: Wenn es die
Preisstabilität erfordert, muss der EZB-Rat handeln und seinen
geldpolitischen Kurs anpassen.»

In den vergangenen Monaten sind die Inflationsraten kräftig
gestiegen. In Deutschland lagen die Verbraucherpreise im Dezember um
5,3 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Damit erreichte die
Teuerungsrate in Europas größter Volkswirtschaft den höchsten Stand
seit Juni 1992. Im Euroraum insgesamt erreichte die Inflation mit 5
Prozent das höchste Niveau seit der Euro-Einführung.

Eine höhere Inflation schwächt die Kaufkraft von Verbrauchern, weil
sie sich für einen Euro weniger kaufen können als zuvor. Kritiker
werfen der EZB vor, mit ihrer ultralockeren Geldpolitik inklusive
milliardenschwerer Anleihenkäufe die Teuerung anzuheizen, die sie
eigentlich im Zaum halten will. Die Notenbank strebt 2 Prozent
Inflation an und ist zeitweise bereit, ein moderates Über- oder
Unterschreiten dieser Marke zu akzeptieren.

«Die Menschen in Deutschland erwarten auch zu Recht, dass die
Bundesbank eine hörbare Stimme der Stabilitätskultur ist», sagte
Nagel. «Ich kann ihnen versichern: Das wird sie auch bleiben.»

Vorgänger Weidmann hatte sich immer wieder kritisch zur ultralockeren
Geldpolitik geäußert. Vor allem die Anleihenkäufe sah Weidmann mit
Skepsis und warnte, die EZB dürfe die Regierungen nicht vom billigen
Geld abhängig machen. Am Dienstag bilanzierte er, die Geldpolitik sei
nie ganz aus dem Krisenmodus herausgekommen: «Der permanente
Ausnahmezustand hat Spuren hinterlassen. Das Koordinatensystem hat
sich verschoben.»

EZB-Präsidentin Christine Lagarde versicherte bei der
Amtswechselfeier: «Uns ist bewusst, dass steigende Preise vielen
Menschen Sorge bereiten, und wir nehmen diese Sorge sehr ernst. Die
Menschen können sich darauf verlassen, dass wir unerschütterlich an
unserem Preisstabilitätsziel festhalten.» Der EZB-Rat stehe
geschlossen hinter diesem Ziel.

Die Ampel-Koalition berief den 55-jährigen Volkswirt Nagel, nachdem
der 53-jährige Weidmann nach gut zehn Jahren das Amt aus persönlichen
Gründen zum Ende vergangenen Jahres vorzeitig abgegeben hatte. Nagel
arbeitete von 1999 an bereits viele Jahre bei der Bundesbank, zuletzt
als Vorstand. Nach einer Station bei der staatlichen Förderbank KfW
war er zuletzt bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich
tätig.

Bundesfinanzminister Christian Lindner äußerte sich überzeugt, dass
Nagel für einen Kurs geldpolitischer Kontinuität bei der Bundesbank
stehen wird. «Stabilitätsorientierter Geldpolitik kommt gerade in
diesen Zeiten eine hohe Bedeutung zu.»

Nagel sprach sich in seiner Antrittsrede zudem dafür aus, bei der
Geldpolitik finanzielle Risiken aus Klimawandel und -politik stärker
in den Blick zu nehmen, etwa bei der Bewertung von Vermögenswerten,
die Banken als Sicherheiten hinterlegen, oder beim Kauf von
Wertpapieren. Auch EZB-Präsidentin Lagarde will dem Klimaschutz in
der Geldpolitik größeres Gewicht geben.

Eine baldige Wende hin zu höheren Zinsen sollten Deutschlands Sparer
aber nach dem Wechsel an der Bundesbank-Spitze nicht erwarten. Nagel
hat im EZB-Rat wie die Vertreter der anderen 18 Euroländer nur eine
Stimme - auch wenn Deutschland Europas größte Volkswirtschaft ist.
Und die lockere Geldpolitik hat im obersten Entscheidungsgremium der
Zentralbank viele Befürworter. Die erste geldpolitische Sitzung des
EZB-Rates im neuen Jahr ist für den 3. Februar angesetzt.