Klares Nein zur Atomkraft gegenüber EU - Gas als Brückentechnologie Von Theresa Münch, Fatima Abbas und Martina Herzog, dpa

21.01.2022 22:06

Die EU streitet darüber, ob Gas und Atomkraft künftig als
«nachhaltig» gelten sollen. Bis einschließlich Freitag konnten die
Staaten dazu offiziell Stellung nehmen. Deutschland positioniert sich
in einer Frage ganz klar - und stellt in einer anderen Bedingungen.

Berlin (dpa) - Die Bundesregierung wendet sich bei der EU-Kommission
klar gegen die Einstufung von Atomkraft als nachhaltig und plädiert
für höhere Anforderungen an Gas als Überbrückungslösung. Das geht
aus
ihrer Stellungnahme zu den umstrittenen Kommissionsplänen zur
sogenannten Taxonomie hervor, die der Deutschen Presse-Agentur
vorliegt und die am Freitagabend nach Brüssel übermittelt wurde.

Wirtschaftsminister Robert Habeck und Umweltministerin Steffi Lemke
(beide Grüne) sagten der dpa: «Als Bundesregierung haben wir unsere
Ablehnung zur Einbeziehung von Atomenergie nochmal deutlich zum
Ausdruck gebracht.» Sie sei riskant und teuer, außerdem gebe es
rechtliche Bedenken. Im Bereich Gas habe man Präzisierungshinweise an
die Kommission formuliert. So brauche es aus Sicht der
Bundesregierung gesonderte Grenzwerte für Fernwärmenetze und den
Ersatz von alten durch neue Gaskraftwerke.

«Sollte der delegierte Rechtsakt unverändert bleiben und die
Kommission die kritischen Stellungnahmen etlicher Mitgliedsstaaten
und auch unsere unberücksichtigt lassen, sollte Deutschland ihn
unserer Meinung nach ablehnen», betonten die beiden Grünen-Minister.

Der Vorschlag der EU-Kommission sieht vor, dass Gas- und
Atomkraftwerke unter bestimmten Voraussetzungen als «grüne»
Investitionen eingestuft werden. Die «Taxonomie» definiert, welche
Bereiche der Wirtschaft als klimafreundlich gelten. Bürger und
Investoren sollen so klare Informationen über nachhaltige
Finanzprodukte erhalten - das soll dabei helfen, die für die
Klimawende benötigten Milliarden zu mobilisieren.

Bis Freitag um Mitternacht hatten Deutschland und die 26 weiteren
EU-Mitgliedstaaten Zeit, um zum Vorschlag der Kommission Stellung zu
beziehen. Im Anschluss will die Kommission aus dem Entwurf einen
offiziellen sogenannten delegierten Rechtsakt machen - und so den
nächsten Schritt zur Umsetzung einleiten.

Deutschland formuliert in seiner Stellungnahme nun klar: «Aus Sicht
der Bundesregierung ist Atomenergie nicht nachhaltig.» Schwere
Unfälle mit Gefährdung von Mensch und Umwelt könnten nicht
ausgeschlossen werden. Zudem sei Atomenergie teuer und die
Endlagerfrage nicht gelöst. «Je länger Atomkraftwerke laufen, desto
größer wird das Problem des Atommülls», argumentiert die
Bundesregierung. Insgesamt ergäben sich rechtliche Bedenken: Es sei
zweifelhaft, ob die Aufnahme von Atomenergie mit den Vorgaben der
Taxonomieverordnung vereinbar sei.

Langfristig, so schreibt die Bundesregierung, sei auch die Nutzung
von Erdgas nicht nachhaltig. Jedoch bilde fossiles Gas in
hochmodernen und effizienten Gaskraftwerken für einen
Übergangszeitraum eine Brücke, um einen schnelleren Kohleausstieg zu
ermöglichen und kurzfristig CO2 einzusparen. Deutschland hatte die
Aufnahme von Gas in die Taxonomie in der Vergangenheit deutlich
unterstützt.

Nun heißt es in der Stellungnahme, Gas sei als Brücke so lange nötig,

bis das Gasenergiesystem mittelfristig auf erneuerbaren Energien
beruhen könne. Wichtig seien allerdings realistische Bedingungen,
damit dieser Umbau nicht behindert werde. Bei der geplanten
Umstellung von Gaskraftwerken auf Wasserstoff fordert die
Bundesregierung etwa mehr Flexibilität ein. Die von der Kommission
anvisierten Quoten seien angesichts erwarteter Knappheiten in der
Anfangszeit zu starr.

Umweltverbände hatten die Bundesregierung aufgefordert, die EU-Pläne
sowohl für Gas als auch für Atomkraft entschieden abzulehnen. Sie
befürchten durch die Einstufung unter anderem «falsche Anreize» und
Nachteile für erneuerbare Energien.

Doch ein Stoppen der Pläne könnte schwierig werden: Ein Sprecher der
EU-Kommission erklärte, dass die Brüsseler Behörde Rückmeldungen de
r
EU-Länder studieren und den Vorschlag «so schnell wie möglich»
offiziell annehmen wolle. Nur eine Mehrheit von mindestens 20 Staaten
oder der Abgeordneten im EU-Parlament könnte ihn ausbremsen - was
sich derzeit nicht abzeichnet.

Nach einer Recherche der dpa befürworten mindestens elf
Mitgliedstaaten, darunter Frankreich, Polen und Ungarn, die Pläne
ausdrücklich. Nur wenige Länder, etwa Österreich, Spanien und
Dänemark, lehnen die geplanten Klassifizierungen ab. Österreich und
Luxemburg erwägen sogar, dagegen zu klagen.

Die Bundesregierung meldet am Ende ihrer Stellungnahme Kritik am
Entscheidungsverfahren an. «Angesichts der sehr grundsätzlichen und
politischen Bedeutung der hier behandelten Fragen» wäre ein reguläres

Gesetzgebungsverfahren besser geeignet, da dieses «angemessene
Einflussmöglichkeiten» für die EU-Staaten und das Europaparlament
gewährleistet hätte. Dieses Verfahren hatten EU-Staaten und Parlament
allerdings in einer früheren Verordnung 2020 selbst beschlossen.

Lemke hatte zuvor deutliche Kritik an der Einstufung von Gas geübt.
«Ich bin überzeugt, dass weder für Erdgas noch für Atomkraft die
Einstufung als nachhaltig in der Taxonomie nötig ist», sagte sie der
dpa. Auch wenn Deutschland auf Erdgas für «einen kurzen
Übergangszeitraum» angewiesen sei, brauche es dafür kein
Nachhaltigkeitssiegel auf EU-Ebene, hatte sie erklärt.

Anders sieht das Lukas Köhler, der stellvertretende
Fraktionsvorsitzende des Koalitionspartners FDP. «Investitionen in
Gas sind nachhaltig, wenn langfristig der Umstieg auf
klimafreundlichen Wasserstoff sichergestellt ist», sagte Köhler der
dpa. Deutschland sei «gut beraten, zwischen Gas und Kernenergie zu
unterscheiden». Die Aufnahme von Gas in die sogenannte EU-Taxonomie
sei auch eine Frage der Versorgungssicherheit. «Ohne einen massiven
Zubau an Gaskraftwerken kann die Versorgungssicherheit nicht
gewährleistet werden», sagte Köhler.

Auch der Verband kommunaler Unternehmen warb für die Unterstützung
künftiger Gaskraftwerke. «Diese Kraftwerke sichern vor allem den
Ausbau der witterungsabhängigen Erneuerbaren Energien ab und
ermöglichen damit auch den Kohleausstieg», sagte
VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing. Diese
«Transformations-Kraftwerke» in die EU-Taxonomie aufzunehmen, sei «im

ureigensten Interesse Deutschlands».