Für den Fall der Fälle - Westen plant scharfe Sanktionen gegen Moskau Von Ansgar Haase und Ulf Mauder, dpa

25.01.2022 16:44

Können Sanktionsdrohungen einen Beitrag dazu leisten, dass Russlands
Präsident Wladimir Putin Pläne für einen Angriff auf die Ukraine in
der Schublade lässt? In Berlin, Brüssel und Washington ist das eine
große Hoffnung. Doch der Westen bereitet sich auf den Ernstfall vor.

Brüssel/Moskau (dpa) - Hinter den Kulissen laufen die Vorbereitungen
für den schlimmsten aller denkbaren Fälle: ein Krieg im Osten der
Ukraine. Wenn Russlands Präsident Wladimir Putin es trotz aller
Drohungen wagen sollte, die Ukraine anzugreifen, soll die Reaktion
schnell und hart ausfallen. Innerhalb kürzester Zeit wollen die
EU-Staaten dann gemeinsam mit den USA und Großbritannien Sanktionen
verhängen. Beispiellos schmerzvoll sollen sie sein.

Seit Wochen wird deswegen unter höchster Geheimhaltung in kleinen
Kreisen beraten und geplant, zuletzt auch am späten Montagabend auf
Chefebene in einer Videokonferenz unter anderem mit US-Präsident Joe
Biden, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Frankreichs Präsident
Emmanuel Macron. Das Weiße Haus erklärte im Anschluss, die Runde habe
die gemeinsamen Bemühungen zur Abschreckung weiterer russischer
Aggressionen gegen die Ukraine erörtert. Dabei geht es darum,
Russland für solche Handlungen «massive Konsequenzen und hohe
wirtschaftliche Kosten aufzuerlegen (...)».

Über Details wird in der Öffentlichkeit nicht geredet, EU-Beamte
bestätigten am Dienstag allerdings, dass folgende Optionen auf dem
Tisch liegen:

Nord Stream 2 und andere Sanktionen gegen den Energiesektor

Kann die von Russland nach Deutschland führende Erdgas-Pipeline Nord
Stream 2 ans Netz gehen, wenn Russland in die Ukraine einmarschiert?
Nachdem Kanzler Scholz anfangs noch den Eindruck erweckt hatte, dass
er einen solchen Schritt nicht sieht («Es handelt sich im Hinblick
auf Nord Stream 2 um ein privatwirtschaftliches Vorhaben.») sagte er
zuletzt, «dass alles zu diskutieren ist, wenn es zu einer
militärischen Intervention gegen die Ukraine kommt». Russland
hingegen betonte mit Blick auf Ängste im Westen, die Energiegroßmacht

könnte als Rache auf Sanktionen selbst den Gashahn zudrehen.

Sanktionen gegen Putin und sein Umfeld

Im Gegensatz zu früheren Sanktionsrunden gegen Russland sollen
diesmal im Fall der Fälle auch kremlnahe Oligarchen ins Visier
genommen werden. Wenn die milliardenschweren Unternehmer mit
politischem Einfluss wegen EU-Einreiseverboten nicht mehr an der
französischen Côte d'Azur oder in den Alpen Urlaub machen dürften und

ihre Investitionen in der EU eingefroren würden, könnte dies
vielleicht mehr in Bewegung setzen als viele andere Strafmaßnahmen,
argumentieren Befürworter.

Technologie-Embargo

Mit einem Ausfuhrverbot für bestimmte Hightech-Güter und Technologien
könnte in einem Worst-Case-Szenario dafür gesorgt werden, dass die
Menschen in Russland keine westlichen Handys, Computer oder
Haushaltsgeräte mehr kaufen können. Zudem könnten gezielt die
Rüstungs- und Flugzeugindustrie ins Visier genommen werden.

Finanzsanktionen und der Ausschluss aus Swift

Als eine Art «wirtschaftliche Atombombe» gilt ein möglicher
Ausschluss Russlands aus dem Zahlungsverkehrssystem Swift. Das hätte
zur Folge, dass russische Finanzinstitute vom globalen Finanzsystem
ausgeschlossen würden, weil Swift das international wichtigste System
zum Austausch von Informationen zu Transaktionen ist. Russische
Banken und Unternehmen liefen dann Gefahr, Geld nicht mehr so einfach
ins Ausland transferieren zu können, andersherum würde der
Kapitalfluss aber genauso erschwert werden. Das kann Warenströme
bremsen, weil Firmen dann nicht mehr in der Lage sind, Importe zu
bezahlen oder Einnahmen für Exporte zu verbuchen.

Alternativ könnten gezielt Sanktionen gegen russische Finanzinstitute
erlassen und die Aufnahmen von Staatsschulden erschwert werden. Dies
würde die Folgen für nach Russland exportierende Unternehmen
vermutlich abfedern und das Risiko mindern, dass Russland mit
Unterstützung anderer Staaten bereits existierende Alternativsysteme
zu Swift weiter ausbaut.

Zu der Frage, ob aus deutscher Perspektive auch ein Ausschluss
Russlands aus dem Swift-System in Betracht gezogen werden sollte,
sagte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock jüngst, «der härteste

Knüppel» werde am Ende «nicht immer das intelligenteste Schwert»
sein. Zugleich schloss sie einen solchen Schritt aber auch nicht aus.

Wirken die bisherigen Sanktionen gegen Russland?

Putin behauptet zwar gern, Russland spucke auf die Sanktionen und
lasse sich nicht unter Druck setzen. Er meint, die Milliardenverluste
durch bereits verhängte Sanktionen habe Russland längst wettgemacht
durch die Neuaufstellung und Diversifizierung der eigenen Wirtschaft.
Unternehmer allerdings klagen immer wieder über Handels-,
Produktions- und Investitionshindernisse. Und auch der Chef des
russischen Rechnungshofes, Alexej Kudrin, widerspricht bisweilen dem
Kreml, dass sich die Wirtschaft den Einschränkungen angepasst habe.
«Russland verliert trotzdem durch die Sanktionen und macht weiter
Verluste.»

Besonders betroffen sind nach offiziellen Angaben die
metallverarbeitende, die chemische, die Automobil- und die
Rüstungsindustrie sowie die Landwirtschaft. Der Kreml warnte zuletzt
eindringlich, die bisherigen Sanktionen der EU und der USA seien ein
Verstoß gegen internationales Recht. Putin hatte klar gemacht, dass
für den Fall nie dagewesener Sanktionen die Beziehungen mit dem
Westen zerrissen werden könnten. «Das wäre ein kolossaler Fehler, der

die schwersten Folgen nach sich ziehen wird», sagte Putins
außenpolitischer Berater Juri Uschakow. «Wir hoffen aber, dass es
dazu nicht kommt.»