Fast wie im Roman - 50 Jahre Drogeriemarktkette Rossmann Von Jan Petermann, dpa
16.03.2022 06:10
1972 legte Dirk Roßmann mit seinem ersten Laden den Grundstein für
einen europäischen Einzelhandelskonzern. Inzwischen hat die nächste
Generation übernommen. Der Senior mischt aber weiter mit - und hat
sich auf ein für Selfmade-Milliardäre ungewöhnliches Hobby verlegt.
Burgwedel (dpa) - Vor einem halben Jahrhundert eröffnete ein gewisser
Dirk Roßmann einen kleinen «Markt für Drogeriewaren» im hannoversch
en
Stadtteil List. Damals kannten ihn wenige Kunden und Branchenkollegen
- das sollte sich in der bevorstehenden Zeit gründlich ändern. Heute
ist die Firma Rossmann neben den deutschen Hauptkonkurrenten dm und
Müller eine der größten Einzelhandelsketten Europas. Auf dem Weg
dorthin mangelte es jedoch auch hier nicht an Krisen und Reibereien.
Am Donnerstag (17. März) wird das Unternehmen 50. Zumindest an der
Spitze bleibt Rossmann ein Familienbetrieb, Gründer Dirk (75) gab im
vorigen Herbst die Leitung an Sohn Raoul ab. Der Mittdreißiger -
gelernter Betriebswirt - ist nun Geschäftsführer, während sein Vater
noch die Beteiligungen der Gruppe mit sortiert. Der zweite Sohn
Daniel kümmert sich vor allem um den Ausbau des Filialnetzes und die
Immobilien. Darüber hinaus sind längst viele Manager von außerhalb
des Roßmann-Clans eingestellt. Sie steuern das laufende Geschäft.
Der Senior hatte zuletzt weiter ein eigenes Büro in Burgwedel, dem
Stammsitz gut eine halbe Autostunde nördlich der niedersächsischen
Landeshauptstadt. Ab und zu steht eine dicke schwarze Limousine auf
dem Parkplatz der Hauptverwaltung, die 2011 gleich an der Auffahrt
zur A7 fertig wurde. Privat schwelgt der alte Roßmann mittlerweile
ebenso in halbfiktiven, vom drohenden Klimakollaps inspirierten
Thriller-Welten: Er will sich einen Namen als Schriftsteller machen.
Nicht nur als Selfmade-Milliardär - Roßmann soll Schätzungen zufolge
zu den reichsten Deutschen gehören - ist er zuweilen eine Reizfigur.
Einerseits betonen selbst Kritiker, die sein Ego für groß und seine
Preispolitik für nicht gerade zimperlich halten, das Engagement in
Organisationen wie der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung, die er
mitgründete. Dafür gab es unter anderem das Bundesverdienstkreuz. Bei
vielen Beschäftigten ist Roßmann bodenständig und beliebt, sein Ruf
als sozialer Unternehmer eilt ihm oft voraus, in TV-Talkrunden
beteiligt er sich an Debatten von Wirtschafts- bis Weltpolitik.
Er provoziert aber gern - und weiß damit zu kokettieren. Als der von
manchen Feuilletonisten als eher naiv abgetane, vom Publikum durchaus
geschätzte Roman «Der neunte Arm des Oktopus» erschien, warf Roßman
n
eine riesige PR-Maschinerie an und vertrieb seinen Text parallel über
die eigenen Läden, während Buchhändler unter Corona ächzten. «Wen
n
ich Fernsehwerbung mache, profitiert auch der Buchhandel», meinte er
lakonisch. Ein Exemplars des Öko-Krimis, in dem die USA, China und
Russland die Welt zu retten versuchen, schickte er an den russischen
Präsidenten - freilich unter damals ganz anderen Umständen als heute.
Mit Roßmanns Abtritt aus dem geschäftlichen Rampenlicht ist jetzt der
Nachwuchs an der Reihe, das Firmengeflecht weiter auszudehnen. Das
Wachstum war bereits zu Beginn rasant: Vier Jahre nach der Eröffnung
des ersten Selbstbedienungsladens auf 250 Quadratmetern - in den
1970ern ein ganz neues Konzept für Zahnpasta, Make-up, Windeln & Co.
- gebot Dirk Roßmann schon über 100 Filialen. Es dauerte nicht lange,
bis Götz Werner (dm) und Anton Schlecker in Hannover vorbeischauten.
30 Jahre später waren es über 1000 Rossmann-Läden. Heute sind es
insgesamt fast 4400 in acht Ländern, die Zahl der Beschäftigten liegt
bei mehr als 56 000. Das Unternehmen ist auch in Spanien, der Türkei,
Polen, Tschechien, Ungarn, Albanien und dem Kosovo vertreten. Dieses
Jahr sollen 200 Standorte hinzukommen, darunter 70 in Deutschland.
Der Umsatz der Gruppe lag 2021 laut vorläufigen Daten bei rund 11,1
Milliarden Euro. Damit gelang gegenüber dem coronageprägten Vorjahr
nochmals ein Plus von 8,1 Prozent. Konkrete Zahlen zum Gewinn nennt
Rossmann nicht - man darf jedoch auch mit Blick auf Sonderzahlungen
an die Belegschaft davon ausgehen, dass er erneut üppig ausfiel.
Ein Zusatzeffekt: Der Konzern profitierte im Vergleich zu vielen
Händlern, die in anderen Segmenten aktiv sind, von einer paradoxen
Sonderkonjunktur. Im Lockdown durften Rossmann-Niederlassungen wie
Supermärkte wegen der Grundversorger-Rolle geöffnet bleiben, während
als nicht systemrelevant eingestufte Läden dichtmachen mussten. Im
dpa-Interview räumte Roßmann ein: «Wir haben nicht gelitten, was ein
Riesenvorteil ist.» Er habe allerdings auch einigen Kleineren seine
finanzielle Hilfe angeboten. «Wir unterstützen Menschen in Not.»
Roßmann selbst erlebte indes nicht nur rosige Zeiten. Der Aufstieg
des Niedersachsen, der im Betrieb der Eltern und Großeltern als
Drogist in die Lehre ging, war nicht ohne Rückschläge. Anfangs hatte
es insbesondere der Konkurrenzkampf mit Schlecker in sich - lange
bevor die von Co-Patriarch Anton Schlecker geführte Firma aus dem
Südwesten in Schieflage geriet und schließlich in die Insolvenz ging.
«Es gab auch schwere Jahre», sagte Roßmann zu seinem 65. Geburtstag
2011. «Ich war nicht immer auf rosa Wolken gebettet, wie das manche
glauben. Wir haben uns durchgewurschtelt.» Er meinte eine Periode, in
der es einmal Spitz auf Knopf stand. Zeitweise waren lebenswichtige
Bankkredite auf der Kippe. «In den 1990er Jahren wusste ich manchmal
freitags nicht, wie ich am Montag die Gehälter zahlen sollte.»
Von 2005 an prüfte dann das Bundeskartellamt, ob er Produkte zu
Dumpingtarifen unter Einkaufspreis vertrieb. Der Bundesgerichtshof
wies mögliche Millionenbußgelder 2010 endgültig ab. Dennoch gestand
Roßmann ein: «Das waren Zeiten, da war ich schon verbittert.» Mit dm
gab es außerdem Zoff um Markenrechte. Unterm Strich verband Roßmann
mit dessen Gründer Götz Werner, der Anfang Februar starb, ein
phasenweise ruppiges, aber insgesamt respektvolles Verhältnis.
Seine bisher schmale Online-Sparte will der Konzern jetzt erweitern.
In den zurückliegenden beiden Jahren sollen sich die Umsätze dort
verdoppelt haben. «Wir machen hier noch Verluste - keine hohen zwar,
und wir bauen das weiter aus, sind aber vorsichtig», sagte Roßmann im
Frühjahr 2021. Manche im Netz verkauften Drogeriesachen rechneten
sich in großen Mengen einfach noch nicht. «Man braucht eine Mischung,
die in stationären Läden durch Mitnahmeartikel gegeben ist.»