UN-Institution zu Ukraine-Krieg: Bis zu 47 Millionen mehr Hungernde

07.04.2022 04:30

Fast 50 Millionen Menschen auf der Welt könnten nach Schätzung einer
UN-Organisation zu Hungernden werden - zusätzlich zu bereits mehr als
275 Millionen Betroffenen. Es braucht mehr Geld für Hilfe - doch
mittelfristig stehen auch weitere Möglichkeiten für Abhilfe im Raum.

Straßburg/Kiew (dpa) - Wegen des Ukraine-Kriegs rechnet das
Welternährungsprogramm mit Dutzenden Millionen Menschen mehr in
Hunger und Armut. «Je nach Dauer des Krieges könnten zwischen 33 und
47 Millionen Menschen zusätzlich in Hunger und Armut abrutschen»,
sagte der Direktor des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen
(WFP) in Deutschland, Martin Frick, der Deutschen Presse-Agentur. Die
Zahl der akut Hungernden habe schon vor Beginn des Krieges mit 276
Millionen Menschen auf einem traurigen Rekordniveau gelegen.

Hohe Preise bei Kraftstoff, Grundnahrungsmitteln oder Dünger
befeuerten diese Entwicklung. Die Ukraine und Russland sind unter
anderem wichtige Getreideexporteure, der Krieg Russlands hat daher
starke Auswirkungen auf die internationalen Agrarmärkte.

Bei der Versorgung notleidender Menschen durch das WFP klafft eine
Milliardenlücke. Angesichts eines so noch nicht da gewesenen
humanitären Bedarfs, bräuchte es WFP-Angaben zufolge 18,9 Milliarden
US-Dollar (17,3 Mrd Euro). Jüngsten Zahlen zufolge erhielt das WFP im
Jahr 2020 jedoch nur knapp 8,5 Milliarden Dollar an Spenden. Die
Organisation rechnet allein wegen gestiegener Lebensmittelpreise und
des Ukraine-Konflikts mit Mehrkosten von rund 850 Millionen Dollar
pro Jahr.

Am Donnerstag treffen sich die Agrarministerinnen und Agrarminister
der EU-Staaten, um über die Auswirkungen der Ukraine-Krise und
mögliche Lösungen zu sprechen. Frick appelliert: Kurzfristig brauche
es mehr Geld für humanitäre Hilfe. «Gleichzeitig müssen die
weltweiten Ernährungssysteme umgebaut werden, damit sie weniger
anfällig für solche Krisen sind.» Es brauche kleinbäuerliche
Landwirtschaft mit regionalen Strukturen. Hunger sei menschengemacht.
Es gebe weltweit betrachtet keine Nahrungsmittelknappheit, aber
Weltmarktpreise und ungerechte Verteilung führten regional dazu.

Der Generalsekretär der Deutschen Welthungerhilfe, Mathias Mogge,
forderte die Bundesregierung auf, auf den anstehenden G7-Konferenzen
das Thema «ganz nach oben» zu setzen. «Die Unterstützung für die

betroffenen Länder muss deutlich erhöht werden», sagte Mogge der
«Rheinischen Post» (Online Mittwoch). «Was wir bei Afghanistan
erleben, dass nämlich bisher nur die Hälfte der erforderlichen 4,4
Milliarden Euro an Hilfsgeldern zusammengekommen sind, darf sich
nicht wiederholen.»

Die EU-Kommission hatte bereits vorgeschlagen, auf für
Umweltmaßnahmen vorgesehenen Flächen den Anbau von Nahrung und Futter
zu erlauben, um Lieferausfälle auszugleichen. Agrarpolitik-Professor
Stephan von Cramon-Taubadel von der Uni Göttingen sagte dazu, dies
wäre kurzfristig keine schlechte Entscheidung, da es schell
Ergebnisse liefern könnte.

Sebastian Lakner von der Uni Rostock betonte hingegen, es gebe
Berechnungen, dass diese Maßnahme nur zu einem geringen Ertrag führe,
weil diese Flächen meist die unproduktivsten seien. «Ich weiß nicht,

wie viel davon wirklich Symbolpolitik ist und wie viel das beiträgt»,
sagte der Professor für Agrarökonomie bei einer Veranstaltung der
gemeinnützigen Organisation Science Media Center.

Mittelfristig, das geht aus Aussagen beider Wissenschaftler hervor,
sei weniger Fleischkonsum effektiver. Für die Tierzucht werden viel
Platz und viel Futtermittel gebraucht. Politisch könnte der Preis für
Lebensmittel etwa über die Mehrwertsteuer gelenkt werden. So könnte
sie theoretisch für Fleisch höher oder für pflanzliche Nahrung
niedriger angesetzt werden.