EZB-Präsidentin Lagarde signalisiert Zinsanhebung im Juli

23.05.2022 11:53

Die Zinswende im Euroraum rückt näher: Europas Währungshüter bereit
en
die Märkte auf die erste Zinsanhebung im Juli vor. Der Ausstieg aus
der seit Jahren ultralockeren Geldpolitik wird jedoch einige Zeit
dauern.

Frankfurt/Main (dpa) - Die Europäische Zentralbank (EZB) steuert auf
die erste Zinsanhebung seit elf Jahren zu. Ein Ende der
Netto-Wertpapierkäufe sei «sehr früh im dritten Quartal» zu erwarte
n,
schrieb EZB-Präsidentin Christine Lagarde in einem am Montag von der
Notenbank veröffentlichen Beitrag. «Dies würde uns eine Anhebung der

Zinssätze auf unserer Sitzung im Juli ermöglichen, im Einklang mit
unseren Prognosen.» Die Juli-Sitzung des EZB-Rates ist für den 21.
Juli angesetzt. «Ausgehend von den derzeitigen Aussichten werden wir
wahrscheinlich in der Lage sein, die negativen Zinssätze bis zum Ende
des dritten Quartals zu beenden», kündigte Lagarde an.

Derzeit müssen Banken 0,5 Prozent Zinsen zahlen, wenn sie Geld bei
der EZB parken. Viele Institute berechnen ihren Kunden wegen dieses
negativen Einlagensatzes ab bestimmten Summen auf dem Konto ein
sogenanntes Verwahrentgelt. Der Leitzins im Euroraum liegt seit März
2016 auf dem Rekordtief von null Prozent. Dieser
Hauptrefinanzierungszins wurde in den vergangenen Jahren in der
Bedeutung vom Einlagensatz verdrängt.

Die Rekordinflation im Euroraum zwingt Europas Währungshüter zum
Gegensteuern. Im April stiegen die Verbraucherpreise im
Währungsgebiet zum Vorjahresmonat um 7,4 Prozent. Damit verharrte die
Teuerung auf dem höchsten Niveau seit Einführung der gemeinsamen
Währung. Die EZB strebt mittelfristig stabile Preise bei einer
jährlichen Teuerungsrate von 2 Prozent an.

«Wenn sich die Inflation mittelfristig bei zwei Prozent stabilisiert,
wird eine schrittweise weitere Normalisierung der Zinssätze in
Richtung des neutralen Zinssatzes angemessen sein», führte Lagarde
aus. «Das Tempo der politischen Anpassung und ihr Endpunkt werden
jedoch davon abhängen, wie sich die Schocks entwickeln und wie sich
die mittelfristigen Inflationsaussichten im weiteren Verlauf
gestalten.»

Für die EZB ist der Ausstieg aus der seit Jahren ultralockeren
Geldpolitik ein Balanceakt: Höhere Zinsen helfen dabei, die Inflation
zu dämpfen, können aber zugleich das Wirtschaftswachstum bremsen.
«Sollte sich die Wirtschaft des Eurogebiets infolge eines positiven
Nachfrageschocks überhitzen, wäre es sinnvoll, die Leitzinsen
schrittweise über den neutralen Zinssatz anzuheben», schrieb Lagarde.
«Dies würde sicherstellen, dass die Nachfrage wieder mit dem Angebot
in Einklang kommt und der Inflationsdruck nachlässt.»

Der neutrale Zins stellt eine Art Gleichgewichtszins dar, bei dem
weder Inflation noch Wirtschaftswachstum ein Übergewicht entwickeln.
Für die USA schätzen Ökonomen den neutralen Zins derzeit auf etwa 2,5

Prozent. Für den Euroraum wird er meist deutlich niedriger angesetzt.