Uneinigkeit in EZB über Straffungstempo

24.05.2022 16:12

Davos/Wien (dpa) - In der Europäischen Zentralbank herrscht
Uneinigkeit über die Reaktion auf die Inflation. Nachdem
EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Montag ein eher moderates Tempo
mit schrittweisen Zinsanhebungen ab Sommer signalisierte hatte, kam
am Dienstag Widerspruch aus Österreich. Notenbankchef Robert Holzmann
plädierte für einen entschlosseneren Einstieg in die geldpolitische
Straffung. Dem widersprach Frankreichs Notenbankchef François
Villeroy de Galhau.

Lagarde hatte überraschend Details zur erwarteten geldpolitischen
Wende preisgegeben. Sie signalisierte eine Zinsanhebung - die erste
seit etwa elf Jahren - für Juli. Ende September könne dann die Zeit
der negativen Leitzinsen beendet sein. Der negative Einlagensatz von
minus 0,5 Prozent kommt einer Gebühr für Bankeinlagen bei der EZB
gleich und wurde von vielen Geldhäusern an die Bankkunden zumindest
teilweise weitergereicht.

Österreichs Notenbankchef Holzmann votierte für einen beherzten
Einstieg in die Zinswende, indem er für einen großen Schritt von 0,5
Punkte eintrat. Zinsanhebungen in dieser Größenordnung hatten zuletzt
mehrere Zentralbanken vorgenommen, um ein Zeichen gegen die
vielerorts hohe Inflation zu setzen. Eine Zinserhöhung um 0,5 Punkte
im Juli wäre «angemessen», sagte Holzmann der Nachrichtenagentur
Bloomberg. Ein großer Zinsschritt zu Beginn der Straffungsphase würde
den Märkten signalisieren, «dass wir die Notwendigkeit zum Handeln
erkannt haben», sagte Holzmann. «Alles andere würde Gefahr laufen,
als schwach wahrgenommen zu werden.»

Holzmann vertrat nicht nur inhaltlich eine andere Position als
Lagarde. Er monierte auch das Vorgehen der Französin. «Ich schätze
es, dass sie sich zu Wort meldet und erkennt, dass die Zeit für eine
Anhebung gekommen ist, aber ich hätte mir eine klare Kommunikation
darüber gewünscht, wie wir zu neutralen Zinssätzen kommen»,
kommentierte der Österreicher. Holzmann ist bekannt für deutliche
Äußerungen und gilt als Vertreter einer straffen geldpolitischen
Haltung.

Anders als Holzmann äußerte sich der Präsident der französischen
Notenbank. Eine Erhöhung um 0,5 Punkte sei zum jetzigen Zeitpunkt
nicht Konsens im EZB-Rat, sagte Villeroy de Galhau auf dem
Weltwirtschaftsforum in Davos dem Nachrichtensender Bloomberg TV. Die
anstehenden Zinsanhebungen würden schrittweise ausfallen. Das spricht
für Schritte um 0,25 Punkte.

Hintergrund der geldpolitischen Wende im Euroraum ist die Inflation
von zuletzt 7,4 Prozent. Verglichen mit anderen Zentralbanken
reagiert die EZB mit Zinsanhebungen spät auf den Teuerungsschub. Die
US-Notenbank Fed hat ihren Leitzins schon zweimal angehoben, zuletzt
um 0,5 Punkte.