Ukraine fiebert EU-Gipfel entgegen - Russland sauer wegen Kaliningrad

20.06.2022 17:40

Die Ukraine verliert bei Kämpfen einen Vorort von Sjewjerodonezk,
hofft indes aber auf einen diplomatischen Gewinn: den Status als
EU-Beitrittskandidat. Eine Transitbeschränkung verärgert Russland.
Der EU-Chefdiplomat glaubt derweil an ein Ende der Getreideblockade.

Berlin/Rom (dpa) - In der Hoffnung auf einen baldigen Status als
EU-Beitrittskandidat fiebert die Ukraine dem EU-Gipfel in dieser
Woche in Brüssel entgegen. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock
wirbt bereits für eine konkrete Perspektive für das von Russland
angegriffene Land, das am Montag den Verlust eines Vororts der
zuletzt heftig umkämpften Stadt Sjewjerodonezk einräumen musste.

Unterdessen beschuldigte der prorussische Krim-Chef die Ukraine,
schwimmende Gasförderplattformen im Schwarzen Meer mit Raketen
angegriffen zu haben. Dabei habe es mehrere Verletzte gegeben. Moskau
zeigte sich zudem erzürnt über das EU- und Nato-Land Litauen, das den
Bahntransit zwischen der zu Russland gehörenden Ostsee-Enklave
Kaliningrad und dem russischen Kernland beschränkte.

Im Schwarzen Meer blockieren russische Schiffe weiterhin die Ausfuhr
von ukrainischem Getreide. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell
glaubt aber an eine baldige Lösung des Problems. Dies ist nötig, denn
die Vereinten Nationen legten dramatische Zahlen vor, wonach auch
wegen des Ukraine-Krieges und dem fehlenden Getreide weltweit aktuell
345 Millionen Menschen in 82 Ländern akut hungern.

Baerbock wirbt für konkrete EU-Perspektive für Ukraine

Kurz vor dem wohl entscheidenden EU-Gipfel hat Bundesaußenministerin
Baerbock für eine konkrete EU-Beitrittsperspektive für die Ukraine
geworben. «Es gilt jetzt, nicht nach Schema F zu verfahren, sondern
diesen historischen Moment zu nutzen und der Ukraine mit Blick auf
ihre Perspektive deutlich zu machen: Ihr gehört mitten in die
Europäische Union», sagte die Grünen-Politikerin in Luxemburg. Sie
unterstütze auch den Beitritt von Ukraines kleinem Nachbarn Moldau.

Ukraine räumt Verlust eines Vororts von Sjewjerodonezk ein

Die ukrainischen Behörden haben den Verlust der Ortschaft Metjolkine
südöstlich des Verwaltungszentrums Sjewjerodonezk im Osten des Landes
eingeräumt. «Die Kontrolle über Metjolkine nahe Sjewjerodonezk ist
verloren», teilte der Militärgouverneur des Gebiets Luhansk, Serhij
Hajdaj, mit. Russland hatte bereits am Sonntag die Eroberung der an
Sjewjerodonezk angrenzenden Ortschaft gemeldet.

Krim-Chef: Kiew attackiert Gasförderplattformen im Schwarzen Meer

Die ukrainische Küstenverteidigung hat prorussischen Angaben zufolge
schwimmende Gasförderplattformen im Schwarzen Meer mit Raketen
angegriffen. Bislang seien 94 Menschen gerettet worden, teilte
Krim-Chef Sergej Aksjonow auf seinem Telegram-Kanal mit. Insgesamt
hätten sich auf den Plattformen zuletzt mehr als 100 Menschen
aufgehalten. Bei einem von drei Angriffen habe es Verletzte gegeben.
Das ukrainische Militär kommentierte den Vorfall zunächst nicht.
Unterdessen sei in der westrussischen Region Brjansk ein Mann durch
Artilleriebeschuss verletzt worden, teilte der dortige Gouverneur
mit.

Kreml nennt Litauens Transitbeschränkungen nach Kaliningrad «illegal»


Der Kreml hat Litauens Beschränkungen des Bahntransits zwischen der
zu Russland gehörenden Ostsee-Exklave Kaliningrad und dem russischen
Kernland als «illegal» kritisiert. «Diese Entscheidung ist wirklich
beispiellos und stellt eine Verletzung von allem dar», sagte
Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. Litauen hat
seit Samstag den Bahntransit von Waren über sein Territorium nach
Kaliningrad verboten, die auf westlichen Sanktionslisten stehen. Dies
betreffe 40 bis 50 Prozent aller Transitgüter, wie Baumaterialien und
Metalle. Peskow sprach von «Elementen einer Blockade».

EU-Chefdiplomat rechnet mit Deal zu Getreideexporten aus der Ukraine

Die Blockade der ukrainischen Schwarzmeerhäfen durch die russische
Marine könnte nach Einschätzung des EU-Außenbeauftragten Josep
Borrell gelöst werden. «Wir kommen voran und (...) ich bin mir
sicher, dass die Vereinten Nationen am Ende eine Einigung erzielen
werden», meinte er. Zum Zeitpunkt einer möglichen Einigung sagte
Borrell, er könne sich nicht vorstellen, dass es noch viel länger
dauern werde. Wenn doch, werde Russland dafür verantwortlich sein.
Die Blockade von Getreideexporten sei ein «echtes Kriegsverbrechen».

UN-Welternährungsprogramm: 345 Millionen akut hungernde Menschen

Auch wegen des Ukraine-Krieges und des dadurch fehlenden Getreides
wird die Hungerkrise in Teilen der Welt immer schlimmer. Das
UN-Welternährungsprogramm (WFP) zählt aktuell 345 Millionen Menschen
in 82 Ländern, die akut Hunger leiden. Das sind rund 200 Millionen
Menschen mehr als noch vor der Corona-Pandemie und dem Ausbruch des
Krieges in der Ukraine. Betroffen ist vor allem Afrika.

Staatsanwaltschaft beschlagnahmt Wohnungen von Russen in München

Wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sind in
Deutschland nach offiziellen Angaben erstmals Wohnungen und ein
Bankkonto von russischen Staatsbürgern beschlagnahmt worden. «Nach
unserem Kenntnisstand ist es der erste Fall, dass tatsächlich
Immobilien beschlagnahmt wurden», sagte Oberstaatsanwältin Anne
Leiding am Montag in München. Bisher seien nur Vermögenswerte wie
Jachten eingezogen worden. Die drei Wohnungen befinden sich Leidings
Angaben zufolge in München, auf dem Konto gingen derzeit monatliche
Mietzahlungen von rund 3500 Euro ein.