Vor EU-Gipfel: Balkan-Intellektuelle sehen Region vernachlässigt

21.06.2022 16:47

Belgrad (dpa) - Kurz vor dem EU-Gipfel Ende der Woche haben mehr als
100 Intellektuelle vom Westbalkan beklagt, dass ihre Region selbst
nach dem russischen Angriff auf die Ukraine vom Westen alleine
gelassen werde. «Trotz zahlreicher Erklärungen und Initiativen hat
der Westen - und vor allem die EU - keine wirkliche Unterstützung,
Schutz und konkrete Perspektiven für die Zukunft der Region
angeboten», hieß es in einem Offenen Brief, der am Dienstag in
Belgrad veröffentlicht wurde.

Der Westbalkan sei zwar von EU-Ländern umgeben, seine Aussichten
seien dennoch ungewiss, kritisieren die Autoren. Die «ambivalente
Politik der EU der letzten zwei Jahrzehnte» habe zu Rückschritten in
der Region und zur Hinwendung an andere Machtfaktoren geführt. Vor
allem Russlands gestiegener Einfluss in Serbien und im serbischen
Landesteil Bosniens werfe die Frage auf, «wo der Westbalkan
eigentlich hingehört».

«Angesichts der ständigen russischen Anstrengungen, den Westbalkan zu
destabilisieren, ist der EU-Beitritt der gesamten Region eine
geopolitische Unvermeidlichkeit», heißt es in dem Schreiben weiter.
Vom EU-Gipfel erwarten sich die Unterzeichner, dass
Bosnien-Herzegowina den Kandidatenstatus erhält und dass den Bürgern
des Kosovos Visafreiheit in der EU gewährt wird, wofür die
Voraussetzungen längst bestehen würden.

Unterschrieben haben den Brief mehr als 100 Ex-Politiker, Historiker,
Schriftsteller, Künstler und Journalisten aus den sechs
Westbalkanstaaten (Serbien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina,
Nordmazedonien, Albanien und Kosovo) und aus dem EU-Land Kroatien. 

Der EU-Gipfel am kommenden Donnerstag und Freitag soll unter anderen
über die Zuerkennung des Kandidatenstatus für die Ukraine und Moldau
entscheiden. Die Westbalkanländer befinden sich in unterschiedlichen
Phasen des Annäherungsprozesses an die EU.