Ampelstreit über Verbrenner-Aus ab 2035: FDP-Minister strikt dagegen

21.06.2022 19:37

Während die grüne Umweltministerin stolz verkündet, die «gesamte
Bundesregierung» sei sich einig, den EU-Plan zum Aus von
Verbrenner-Neuwagen zu unterstützen, kündigt der FDP-Finanzminister
Widerstand an. Viel Zeit für eine Klärung bleibt nicht mehr.

Berlin (dpa) - Die Ampelkoalition kann sich weiterhin auf keinen
gemeinsamen Kurs zum geplanten EU-weiten Verbrenner-Aus ab 2035
einigen. Insbesondere die Positionen zwischen dem grünen
Umweltministerium, das ein Aus klar befürwortet, und den beiden
FDP-geführten Ressorts Verkehr und Finanzen klaffen weit auseinander.

Nach den Worten von Finanzminister Christian Lindner (FDP) wird die
Bundesregierung einem Verkaufsverbot von Neuwagen mit
Verbrennungsmotor ab 2035 auf EU-Ebene nicht zustimmen. Auf dem Tag
der Industrie sagte er am Dienstag in Berlin, es werde Weltregionen
geben, in denen die Elektromobilität für die nächsten Jahrzehnte
nicht eingeführt werden könne. Wenn es ein Verbot der Neuzulassung
des Verbrennungsmotors gebe, dann werde er auch nicht
weiterentwickelt werden, zumindest nicht in Europa und Deutschland.

Deshalb halte er eine Entscheidung, den Verbrennungsmotor de facto zu
verbieten, für falsch, sagte Lindner: «Ich habe deshalb entschieden,
dass ich in der Bundesregierung, dass wir in der Bundesregierung,
dieser europäischen Rechtsetzung nicht zustimmen werden.»

Rückendeckung für seine Haltung bekam Lindner am Dienstag auch von
FDP-Verkehrsminister Volker Wissing, der sich bereits in der
Vergangenheit sehr kritisch zu den EU-Plänen geäußert hatte. Wissing

sagte beim Tag der Industrie, Finanzminister Lindner habe die
richtigen Worte gefunden. Eine Universallösung, um Klimaziele zu
erreichen, gebe es nicht. Es seien vielfältige Antriebe notwendig.
«Deswegen müssen wir technologieoffen bleiben.»

Nur wenige Stunden davor hatte Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne)
bei einer Veranstaltung zur Mobilitätswende dagegen erklärt, die
«gesamte Bundesregierung» habe sich im März darauf geeinigt, «den
Vorschlag der EU-Kommission in allen Gestaltungsformen zu
unterstützen, ab 2035 nur noch emissionsfreie Fahrzeuge zuzulassen».
Es brauche klimaverträgliche Antriebe für das Auto, sagte sie. «Und
eben deshalb brauchen wir die Zustimmung auch der Bundesregierung und
Deutschlands zum Kommissionsvorschlag, 2035 aus dem Verbrenner
auszusteigen.» Zu Lindners Äußerungen sagte Lemke der Deutschen
Presse-Agentur am Abend: «Ich werbe sehr dafür, dass die
Bundesregierung bei ihrer bisherigen gemeinsamen Linie zum in Europa
geplanten Verbrenner-Aus ab 2035 bleibt.» Die Vorschläge der
EU-Kommission und die erzielten Kompromisse seien vernünftig.

Das EU-Parlament will den Verkauf von Neuwagen mit Verbrennungsmotor
ab 2035 verbieten. Eine Mehrheit der Abgeordneten hatte dafür
gestimmt, dass Hersteller ab Mitte des nächsten Jahrzehnts nur noch
Autos und Transporter auf den Markt bringen dürfen, die keine
klimaschädlichen Treibhausgase ausstoßen.

Die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie, Hildegard
Müller, sagte der dpa: «Es ist gut, dass die Debatte über das
Verbrennerverbot der EU in der Bundesregierung endlich geführt wird.
Die EU hat bisher keinen Plan dafür vorgelegt, wie die
Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass ab 2035 nur noch
Elektroautos verkauft werden können.» Eine flächendeckende
europaweite zuverlässige Ladeinfrastruktur sei zwingende
Voraussetzung für Verbraucherinnen und Verbraucher. «In Deutschland
sind wir davon weit entfernt - und sind mit dieser schlechten Bilanz
im europäischen Vergleich immer noch besser als fast alle anderen.»

Grundsätzlich sei zudem ein Blick über den Tellerrand nötig, über d
ie
europäischen Grenzen hinweg, so Müller. «Um die Klimaziele im Verkehr

zu erreichen, werden alle Technologien gebraucht.» Die Unternehmen
der deutschen Autoindustrie agierten global, weltweit werde der
Verbrennungsmotor auch nach 2035 noch verkauft. Die unterschiedlichen
Technologien leisteten in unterschiedlichen Regionen ihren Beitrag zu
nachhaltiger Mobilität. «Dazu gehören auch synthetische Kraftstoffe,

um den Bestand an Fahrzeugen zu dekarbonisieren.»

Der schon seit Wochen schwelende Streit innerhalb der Koalition dreht
sich vor allem um den Einsatz von synthetischen Kraftstoffen,
sogenannten E-Fuels. Wissing pocht darauf, dass auch nach 2035
Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor neu zugelassen werden können, wenn
diese nachweisbar nur mit E-Fuels betankbar sind.

E-Fuels stoßen, wenn sie mit grünem Strom hergestellt werden, keine
zusätzlichen Treibhausgase aus, sind aber bislang nur in geringen
Mengen verfügbar.

Lemke hält diese Art von Kraftstoffen nur in bestimmten Bereichen für
geeignet, da sie bei der Herstellung mehr Strom benötigen, als Autos,
die elektrisch betrieben werden. E-Fuels könnten eher bei
«Sonderfahrzeugen wie Baggern oder der Feuerwehr» eine Rolle spielen,
betonte Lemke am Dienstag.

Umweltverbände übten Kritik an der Haltung der FDP-Minister. «Der
Verbrennungsmotor ist ein Auslaufmodell. Das wird auch Christian
Lindner nicht ändern können. Mit einer Enthaltung im EU-Umweltrat bei
der wichtigen Frage des Verbrennerausstiegs würde Deutschland den
Konzernen, die sich längst auf den Weg in eine batterieelektrische
Zukunft gemacht haben, einen Bärendienst erweisen», kommentierte etwa
BUND-Geschäftsführerin Antje von Broock.

Beim Treffen der EU-Umweltminister am kommenden Dienstag wollen die
EU-Staaten ihre Position zu dem Vorhaben verabschieden. Dabei muss
nicht einstimmig entschieden werden, es reicht eine qualifizierte
Mehrheit. Deutschland könnte sich, bleiben die Fronten so wie aktuell
verhärtet, bei der Abstimmung auch enthalten.

Eine qualifizierte Mehrheit wird unter zwei Bedingungen erreicht: Zum
einen müssen mindestens 15 der 27 EU-Länder zustimmen, und diese
müssen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU vertreten.

Bevor ein Verbot jedoch in Kraft treten kann, müssen sich die
EU-Staaten auch noch mit dem Europaparlament einigen. In Brüssel
gehen aktuell viele davon aus, dass sich ein Aus für neue Verbrenner
ab 2035 durchsetzen wird. Dann wäre die Entscheidung auch für
Deutschland verbindlich - unabhängig davon, ob die Bundesregierung
zuvor ihre Zustimmung erteilt hatte oder nicht.