Britische Regierung will sich über Straßburger Urteile hinwegsetzen

22.06.2022 10:53

London (dpa) - Die britische Regierung will sich künftig über Urteile
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hinwegsetzen können.

Das Gesetz namens Bill of Rights werde die «britische Tradition der
Freiheit stärken und dem System eine gute Dosis gesunden
Menschenverstand hinzufügen», sagte Justizminister Dominic Raab, der
das Vorhaben am Mittwoch ins Parlament einbringen wollte.

In der vergangenen Woche hatte eine Entscheidung des Straßburger
Gerichts den umstrittenen Plan Großbritanniens blockiert,
Asylsuchende verschiedener Nationalitäten per Flieger nach Ruanda zu
schicken, wo sie stattdessen einen Asylantrag stellen sollten. Unter
den neuen Regeln sollen britische Gerichte das letzte Wort in solchen
Fällen haben.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit Sitz im
französischen Straßburg ist ein europäisches Gericht, aber keines der

Europäischen Union. Stattdessen gehört es zum Europarat, wo auch
Großbritannien bislang weiterhin Mitglied ist. Vor dem Gerichtshof
können wegen des Verdachts auf Verstöße gegen die Europäische
Menschenrechtskonvention Klagen gegen alle 46 Mitgliedsstaaten
eingereicht werden.

Einen Austritt aus der Menschenrechtskonvention, wie ihn zuletzt
Russland vollzogen hat, lehnt Großbritannien bislang ab.
Justizminister Raab will daran festhalten, aber die Umsetzung der
Konvention und den Umgang mit entsprechenden Urteilen verändern.

Menschenrechtsorganisationen zeigten sich alarmiert. Amnesty
International UK beschrieb den Plan als «riesigen Rückschritt für die

Rechte der einfachen Menschen.» Auch die Juristenvereinigung Law
Society kritisierte das Gesetzesvorhaben. Dieses führe dazu, dass
einige Menschenrechtsverletzungen in Großbritannien akzeptabel
würden, sagte die Präsidentin Stephanie Boyce der BBC zufolge.
Außerdem verleihe es dem Staat größere Macht über seine Bürger -
eine
Macht, die dann alle künftigen Regierungen hätten, unabhängig von
ihren Zielen und Werten.