EU-Kommission will Natur vor dem Kollaps retten

22.06.2022 17:22

80 Prozent der Lebensräume sind nach Angaben der EU-Kommission in
einem schlechten Zustand. Ein großes Klimaschutzpaket soll
gegensteuern. Das ruft auch Kritiker auf den Plan, die Meinungen
gehen weit auseinander.

Brüssel (dpa) - Die EU-Kommission hat ein umfassendes Paket für mehr
Umwelt- und Klimaschutz vorgelegt, das unter anderem den Verbrauch
von Pestiziden bis 2030 halbieren soll. Ein weiteres am Mittwoch
vorgestelltes Vorhaben zielt darauf, beschädigte Naturlandschaften
wiederherzustellen: So sollen trockengelegte Moore wieder vernässt
und Wälder aufgeforstet werden. Ein weiteres Ziel: mehr Grün auch in
Städten.

Die Wiederherstellung von Feuchtgebieten, Flüssen, Wäldern,
Ökosystemen in Meeren, aber auch von Natur in städtischen Umgebungen
sei eine entscheidende Investition in Ernährungssicherheit,
Gesundheit und Wohlbefinden, erklärte die Brüsseler Behörde. Rund 80

Prozent der europäischen Lebensräume befänden sich in einem
schlechten Zustand.

Beide Vorhaben müssen nun vom Europaparlament und den EU-Staaten
diskutiert werden. Wenn beide Institutionen einen Kompromiss gefunden
haben, können sie geltendes Recht werden.

Zur Renaturierung sollen etwa mehr Mischwälder entstehen und bis 2050
fünf Prozent mehr Grünflächen in Städten. 70 Prozent der
entwässerten, landwirtschaftlich genutzten Moorgebiete sollen bis
dahin zudem wiederhergestellt werden.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) sagte, es reiche nicht
aus, einzelne Arten zu schützen. «Wir müssen ganze Ökosysteme
renaturieren, denn aktuell sind Moore, Wälder, Flüsse und Meere
vielerorts in einem schlechten Zustand.» Das Gesetzesvorhaben der
EU-Kommission werde dazu einen wichtigen Beitrag leisten.

Auch die Grünen-Europaabgeordnete Jutta Paulus begrüßte das Vorhaben.

«Das EU-Renaturierungsgesetz ist die erste Naturschutzgesetzgebung
seit mehr als 20 Jahren. Und angesichts des fortschreitenden
Artensterbens war es höchste Zeit, gegenzusteuern», sagte sie.

Bereits 2020 hatte die EU-Kommission das Ziel vorgestellt, den
Einsatz von Pestiziden bis 2030 zu reduzieren. Am Mittwoch legte sie
nun den konkreten Gesetzesvorschlag vor. Grundlage für die Halbierung
der Pestizide ist die durchschnittlich verkaufte Menge aus den Jahren
2015, 2016 und 2017.

Bei den Pestizidvorgaben sollen Unterschiede zwischen den EU-Ländern
berücksichtigt werden. Staaten, die schon jetzt strenge Regeln haben,
müssten den Verbrauch weniger reduzieren als jene, die viel Pestizide
einsetzen. Die Untergrenze liege bei einer Reduzierung von 35
Prozent, so die EU-Kommission. Die Behörde behalte sich vor,
einzugreifen, wenn ein nationales Ziel nicht ehrgeizig genug wäre.

Pestizide lassen sich nach Angaben der Kommission etwa einsparen,
indem alternative Schädlingsbekämpfungsmittel entwickelt und
eingesetzt werden und die ökologische Landwirtschaft ausgebaut wird.
Eine weitere Möglichkeit sei, gefährlichere Pestizide vom Markt zu
nehmen.

Ursprünglich hatte die EU-Kommission das Vorhaben bereits im März
präsentieren wollen. Dies wurde wegen des russischen Kriegs gegen die
Ukraine aber verschoben. Kritiker äußerten deshalb den Vorwurf, die
Kommission sei vor der Agrar-Lobby eingeknickt, die das Vorhaben
kritisch sieht.

Der CDU-Abgeordnete Norbert Lins bemängelte am Mittwoch dagegen, dass
die Vorschläge nicht weiter verschoben wurden. Angesichts des Kriegs
sei das Gebot der Stunde, die Produktion zu erhöhen. Er befürchtet,
dass durch die Maßnahmen weniger Lebensmittel in der EU produziert
werden könnten. Ähnlich äußerte sich der Deutsche Bauernverband.

Die EU-Kommission entgegnete, dass es zahlreiche Studien gebe, die
zeigten, dass Landwirte Pestizide reduzieren und Geld sparen könnten,
ohne dass Ernteerträge gefährdet würden. Kommissionsvize Frans
Timmermans sprach davon, dass manche den Krieg als Ausrede nutzen
würden, das Vorhaben zu kritisieren. Zudem sagte er, wenn wir unsere
Lebensweise nicht änderten, brächten wir uns selbst um.

Karsten Specht, Vizepräsident Wasser des Verbandes kommunaler
Unternehmen (VKU), dessen Mitglieder den Großteil Deutschlands mit
Trinkwasser versorgen, begrüßt das Vorhaben. «Je konkreter und
verbindlicher die Maßnahmen sind, desto besser für den Schutz der
Gewässer und die Trinkwasserversorgung», sagte er.