Scholz fordert «Marshall-Plan» für den Wiederaufbau der Ukraine

22.06.2022 16:23

Nach einem baldigen Ende des Kriegs in der Ukraine sieht es nicht
aus. Trotzdem denkt Kanzler Scholz auch schon an die Zeit danach. Er
fordert ein Wiederaufbauprogramm nach dem Vorbild der US-Hilfe für
Deutschland und Europa nach dem Zweiten Weltkrieg.

Berlin (dpa) - Bundeskanzler Olaf Scholz hat einen «Marshall-Plan»
für den Wiederaufbau der kriegszerstörten Ukraine gefordert. In
seiner Regierungserklärung im Bundestag sagte er am Mittwoch, dass
ihn bei seinem Besuch in der Ukraine vergangene Woche manches an die
Bilder deutscher Städte nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert habe.
«Und wie damals das kriegszerstörte Europa braucht heute auch die
Ukraine einen Marshall-Plan für den Wiederaufbau.»

Mit ihrem Marshall-Plan halfen die USA zwischen 1948 und 1952
Deutschland und anderen europäischen Staaten, nach sechs Jahren Krieg
wieder auf die Beine zu kommen. Viele Milliarden US-Dollar wurden in
den Wiederaufbau gesteckt.

In seiner Rede zu den Gipfeln von EU, G7 und Nato in den nächsten
acht Tagen sagte Scholz der Ukraine auch weitere Waffenlieferungen
zu. Den Nato-Staaten des östlichen Bündnisgebiets versprach er
anhaltende Unterstützung zum Schutz vor Russland. «Wir werden jeden
Quadratmeter des Bündnisgebiets verteidigen», sagte er.

In Vorbereitung auf den Gipfelmarathon hatte Scholz sich vergangene
Woche in der Ukraine ein Bild von der Lage gemacht und unter anderem
den teilweise zerstörten Kiewer Vorort Irpin besichtigt. «Das Ausmaß

der Zerstörung ist enorm», sagte er im Bundestag und begründete mit
seinen Eindrücken auch die Forderung nach einem Marshall-Plan.

Seit Kriegsbeginn habe die Europäische Union bereits Mittel in
Milliardenhöhe mobilisiert, Deutschland sei vorne mit dabei, sagte
er. «Aber wir werden viele weitere Milliarden Euro und Dollar für den
Wiederaufbau brauchen - und das über Jahre hinweg. Das geht nur mit
vereinten Kräften.»

Um die Hilfe zu organisieren will Scholz im Rahmen der deutschen
G7-Präsidentschaft eine internationale Expertenkonferenz einberufen.
Man müsse sich darüber verständigen, welche Investitionen die Ukraine

am schnellsten voranbringen auf ihrem europäischen Weg, sagte der
SPD-Politiker.

Europa stehe geschlossen an der Seite des ukrainischen Volkes,
versicherte der Kanzler. «Wir werden die Ukraine auch weiterhin
massiv unterstützen - finanziell, wirtschaftlich, humanitär,
politisch und nicht zuletzt mit der Lieferung von Waffen», sagte er
und ergänzte: «Und zwar so lange, wie die Ukraine unsere
Unterstützung braucht.»

Vom Nato-Gipfel in Madrid erwartet Scholz angesichts des russischen
Angriffskriegs gegen die Ukraine ein Signal des Zusammenhalts und der
Entschlossenheit. «Eine Partnerschaft mit Russland, wie sie noch das
Strategische Konzept von 2010 als Ziel ausgegeben hat, ist mit Putins
aggressivem, imperialistischen Russland auf absehbare Zeit
unvorstellbar», betonte er. Zugleich warnte er davor, daraus falsche
Schlüsse zu ziehen. «Es wäre unklug, unsererseits die
Nato-Russland-Grundakte aufzukündigen», sagte er. Das würde dem
russischen Präsidenten Wladimir Putin und dessen Propaganda nur in
die Hände spielen.

In der Nato-Russland-Grundakte von 1997 hatte sich die Nato auch
verpflichtet, auf die dauerhafte Stationierung «substanzieller
Kampftruppen» im östlichen Bündnisgebiet zu verzichten. Die geplante

langfristige Verstärkung der Nato-Präsenz an der Ostflanke könnte die

Spannungen mit Russland weiter verstärken. Beim Nato-Gipfel vom 28.
bis 30. Juni in Madrid wollen die Bündnispartner unter anderem über
ein neues strategisches Konzept beraten.