EU macht Ukraine und Moldau zu Beitrittskandidaten

23.06.2022 22:02

Seit Monaten dringt die Ukraine täglich darauf, den Status eines
EU-Beitrittskandidaten zu bekommen - nun ist es soweit. Doch der Weg
zur Mitgliedschaft dürfte lang werden.

Brüssel (dpa) - Die Europäische Union hat die von Russland
angegriffene Ukraine offiziell in den Kreis der Beitrittskandidaten
aufgenommen. Zudem beschlossen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und
seine Kollegen am Donnerstag bei einem EU-Gipfel in Brüssel, auch
Moldau den Status eines Bewerberlandes zu gewähren. Georgien wurde
dieser Status in Aussicht gestellt, sobald bestimmte Reformen erfüllt
sind.

Ratspräsident Charles Michel und der ukrainische Präsident Wolodymyr
Selenskyj sprachen von einem «historischen Moment».
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kommentierte: «Heute
ist ein guter Tag für Europa.» Die Ukraine, Moldau und Georgien seien
Teil der europäischen Familie. Für die Bürger dieser Länder könne
es
in diesen bewegten Zeiten kein besseres Zeichen der Hoffnung geben.
«Ich bin überzeugt, dass unsere Entscheidung, die wir heute getroffen
haben, uns alle stärkt», sagte von der Leyen. Der Schritt zeige der
Welt erneut, dass die EU angesichts äußerer Bedrohungen geschlossen
stark sei.

Auch Bundeskanzler Scholz gratulierte der Ukraine und Moldau. «27 Mal
Ja!», schrieb er auf Twitter. «Auf gute Zusammenarbeit in der
europäischen Familie!» Der französische Präsident Emmanuel Macron
sprach von einer «politischen Geste».

Selenskyj selbst wurde nach der Entscheidung live zum Gipfel
zugeschaltet. Er schrieb auf Twitter: «Die Zukunft der Ukraine liegt
in der EU.»

Mit der einstimmigen Entscheidung der 27 Mitgliedstaaten erkennt die
EU die Anstrengungen der Staaten um eine Beitrittsperspektive an und
will ihnen Mut machen, den Weg entschlossen fortzuführen. Vor allem
Selenskyj hatte angesichts des russischen Kriegs gegen sein Land
zuletzt immer wieder eine solche Botschaft der EU eingefordert - auch
um den mehr als 40 Millionen Einwohnern seines Landes zu zeigen, dass
sich der Kampf für Freiheit und Demokratie lohne.

Kanzler Scholz hatte zum Auftakt des EU-Gipfels in Brüssel noch
einmal eindringlich dafür geworben, die Ukraine zum
Beitrittskandidaten zu machen. Der SPD-Politiker sprach von einem
«historischen» Treffen, mahnte aber auch Reformen der Europäischen
Union an, um die Aufnahme neuer Mitglieder zu ermöglichen. Die
EU müsse sich «erweiterungsfähig» machen, sagte er. Dazu gehöre
auch,
das Prinzip der Einstimmigkeit für einige Entscheidungen aufzuheben.

Eine Garantie auf eine zügige Aufnahme in die EU ist der
Kandidatenstatus nicht. Nach einer Empfehlung der EU-Kommission
sollen EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldau erst dann
beginnen, wenn diese weitere Reformauflagen erfüllt haben. Dabei geht
es etwa um Justizreformen und eine stärkere Korruptionsbekämpfung.
Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal kündigte an: «Wir
sind voller Energie, um den Weg zur Mitgliedschaft so schnell wie
möglich zu gehen.»

Dass der Beitrittsprozess auch in einer Sackgasse enden kann, zeigt
der Fall Türkei. Das Land hat bereits seit 1999 den Kandidatenstatus.
Die 2005 begonnenen EU-Beitrittsverhandlungen liegen allerdings seit
Jahren wegen der aus Brüsseler Perspektive unbefriedigenden
Entwicklungen in dem Land auf Eis.

Zunehmend frustriert sind die ebenfalls auf einen EU-Beitritt
hoffenden Westbalkanstaaten. Das EU-Land Bulgarien blockiert seit
mehr als einem Jahr die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit
Nordmazedonien und Albanien, weil sich Nordmazedonien weigert, auf
Forderungen zu den Themen Minderheiten, Geschichtsschreibung und
Sprache einzugehen. Versuche, die Blockade rechtzeitig vor einem am
Rande des EU-Gipfels organisierten Westbalkan-Treffen zu lösen,
scheiterten. Dort waren auch Bosnien-Herzegowina, das Kosovo,
Montenegro und Serbien vertreten.

Die Ukraine hatte vor knapp vier Monaten kurz nach Beginn des
russischen Angriffs die Aufnahme in die EU beantragt. Kurz darauf
reichten auch der kleine Nachbar Moldau sowie das im Südosten Europas
gelegene Georgien Beitrittsanträge ein. Das rund 3,7 Millionen
Einwohner zählende Georgien soll den Beitrittskandidatenstatus erst
bekommen, wenn es weitere Reformauflagen erfüllt. Es ist nach
Einschätzung der EU-Kommission derzeit deutlich instabiler als das
rund 2,6 Millionen Einwohner zählende Moldau und die Ukraine.