Kurz vor Abstimmung: Koalitionskrach um Aus für Verbrenner ab 2035

28.06.2022 12:54

In Luxemburg stehen wichtige Entscheidungen an - die in Berlin für
einen Koalitionskrach sorgen. Wie stimmt Deutschland über ein
Verbrenner-Aus ab?

Berlin/Luxemburg (dpa) - Kurz vor der entscheidenden Abstimmung auf
EU-Ebene über ein mögliches Aus für neue Verbrenner-Autos ab 2035
gibt es heftigen Streit innerhalb der Bundesregierung. Dabei geht es
um die deutsche Position. Die EU-Umweltminister wollten am Dienstag
über die Zukunft von Verbrenner-Autos abstimmen.

Umweltministerin Steffi Lemke befürwortete in der
entscheidenden Sitzung der EU-Länder trotz Kritik von der FDP ein
mögliches Aus für neue Verbrenner-Motoren bei Autos ab 2035.
«Deutschland unterstützt den Vorschlag, wie die Kommission ihn im
«Fit for 55»-Paket gemacht hat», sagte die Grünen-Politikerin in
Bezug auf das EU-Klimapaket, das von der Umweltministern in Luxemburg
verhandelt wird.

Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner wies Aussagen der
Umweltministerin zurück. Lemke hatte gesagt, es gebe eine abgestimmte
Haltung innerhalb der Bundesregierung. «Die heutigen Äußerungen der
Umweltministerin sind überraschend, denn sie entsprechen nicht den
aktuellen Verabredungen», sagte Lindner der Deutschen Presse-Agentur.
«Verbrennungsmotoren mit CO2-freien Kraftstoffen sollen als
Technologie auch nach 2035 in allen Fahrzeugen möglich sein.» Daran
sei die Zustimmung zu Flottengrenzwerten gebunden. «Die von der FDP
geführten Ministerien haben deshalb einem Abstimmungsverhalten der
Bundesregierung noch nicht zugestimmt», betonte Lindner.

Auch im ZDF-«Morgenmagazin» sagte Lemke: «Wenn das Paket beinhaltet,

was wir wollen, keine Autos, die CO2 ausstoßen nach 2035, dann werden
wir zustimmen.» Es gehe darum, den Umstieg auf die Elektromobilität
voranzutreiben. Darüber hinaus müsse deutlich gemacht werden, dass
außerhalb des Pkw-Bereichs auch andere Kraftstoffe eingesetzt werden
könnten - etwa im Schiffs- oder Luftverkehr. In der entscheidenden
Sitzung der EU-Minister äußerte sie sich ähnlich.

Lemke sowie Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatten vor
Beginn der Beratungen auf EU-Ebene deutlich gemacht, dass es eine
abgestimmte Haltung innerhalb der Bundesregierung gebe. «Also, es ist
ein Tag, wo wir gut vorbereitet reingehen, als deutsche
Bundesregierung abgestimmt, vorbereitet, reingehen, aber natürlich
auch wissen, dass wir in Europa eine maßgebliche Rolle zu spielen
haben, dass es am Ende ein erfolgreicher Tag wird», sagte Habeck.

Lemke sagte: «Wir vertreten die gemeinsame Linie der Regierung, die
auf der einen Seite eine starke CO2-Reduktion für den Verkehrsbereich
unterstützen möchte und auf der anderen Seite Technologieoffenheit
gewährleisten will.» Dem schien die FDP zu widersprechen.

Aus dem EU-Parlament kam Kritik an der zerstrittenen Bundesregierung.
«Die Bundesregierung gibt ein blamables Bild ab», sagte der
CDU-Europaabgeordnete Jens Gieseke. Der FDP-Parlamentarier
Jan-Christoph Oetjen forderte einen Kompromiss, der die Klimaziele
sichere und dabei Technologieoffenheit gewährleiste. «Ein absolutes
Verbrennerverbot ist damit ausgeschlossen», sagte er.

Auch ungeachtet des Koalitionsstreits erwarten Lemke und Habeck lange
Verhandlungen mit ihren EU-Kollegen. «Wir richten uns auf einen
langen Tag oder sogar eine kurze Nacht ein», sagte Lemke. Sie erwarte
schwierige Gespräche. Druck, zu einer Einigung zu kommen, gibt es
auch von Seiten der EU-Kommission. «Es wäre eine Tragödie, wenn wir

heute nicht zu Schlussfolgerungen kommen könnten», sagte
Kommissionsvize Frans Timmermans. Man dürfe keine Zeit verlieren.

Das EU-Parlament hat sich bereits für ein Verbot neuer Verbrenner ab
2035 ausgesprochen. Sollten sich die Mitgliedstaaten dieser Haltung
anschließen, wäre der Weg für das Vorhaben frei.

Die FDP pocht allerdings darauf, dass auch nach 2035 Fahrzeuge mit
Verbrennungsmotor neu zugelassen werden können, wenn diese
nachweisbar nur mit E-Fuels betankbar sind.

Mit alternativen Kraftstoffen sollen auch Autos und Transporter
klimaneutral betrieben werden können. Kritiker merken jedoch an, dass
es schon zu wenig dieser «grünen» Kraftstoffe für Luft- und
Schifffahrt gibt, die weniger leicht als Autos oder Transporter
elektrisch betrieben werden können. Zudem sei es energieintensiver,
Autos mit E-Fuels zu betreiben, als diese direkt elektrisch
anzutreiben.

Neben einem de-facto-Verbot für neue Autos und Transporter mit
Verbrennungsmotor ab 2035 versuchen die EU-Umweltminister auch, sich
auf eine gemeinsame Haltung zur Reform des EU-Emissionshandels und zu
einem milliardenschweren Klimasozialfonds zu einigen.

Beim Klimasozialfonds, der Bürger und Bürgerinnen entlasten soll,
steht laut Habeck eine deutsche Position fest. Man erkenne an, dass
die Staaten, die größere soziale Herausforderungen haben,
Unterstützung bräuchten. Aber man dürfe auch die Notwendigkeiten in
den eigenen Ländern nicht abschneiden. «Und dazwischen ist sicherlich
eine Einigung schwierig», sagte Habeck. Deutschland hatte sich
zunächst für einen kleineren Fonds eingesetzt, ärmere Länder woll
en
mehr Sozialausgleich.