Zoff ums «Verbrenner-Verbot» ist immer noch nicht ganz vom Tisch Von Jan Petermann, Laura Dubois und Christopher Weckwerth, dpa

29.06.2022 17:00

Die einen sprechen von unrealistischen Vorgaben, den anderen geht es
nicht weit genug. Ob von 2035 an wirklich alle neuen Benzin-, Diesel-
und Gasautos von Europas Straßen verbannt werden, bleibt unklar. Es
könnte so kommen. Aber das Reizthema Ökosprit ist nicht ausgestanden.

Luxemburg/Hannover (dpa) - Ist das jetzt das «faktische Ende» des
Verbrenner-Autos oder nicht? Es wurde mal wieder sehr spät, bis die
Umweltminister der EU ihren Kompromiss für einen klimaneutralen
Autoverkehr ab 2035 vorlegten. Doch ein zentraler Punkt war auch in
der Nacht zum Mittwoch offen. Die Minister stimmten zwar dem Auslauf
von Neuzulassungen herkömmlich betriebener Benzin-, Diesel- und
Gasautos ab Mitte des nächsten Jahrzehnts zu. Die Brüsseler
EU-Kommission soll aber nun die Frage analysieren, ob mit künstlichem
Ökosprit betriebene Motoren trotzdem auf der Straße bleiben dürfen.

Damit könnte eine Hintertür für die Verbrenner offen bleiben. Der
Position der Mitgliedstaaten muss noch das EU-Parlament zustimmen.

Wie so oft sehen die Politiker bereits einen Erfolg ihrer jeweiligen
Position, während Wirtschafts- und Umweltverbände deftige Kritik
äußern oder weitere Änderungen einfordern. Für Verbraucher und
Unternehmen indes bringt der ungeklärte Umgang mit den sogenannten
E-Fuels anhaltende Unsicherheit. Und die Meinungen darüber, was mit
erneuerbaren Energien hergestellte Synthetik-Kraftstoffe in Sachen
CO2-Nettoreduktion brächten, gehen immer noch auseinander.

Bundeswirtschafts- und -klimaschutzminister Robert Habeck gab sich
zufrieden. Zusammen mit den ebenfalls beratenen Vorschlägen für eine
Reform des Emissionshandels und Milliardenentlastungen in der
Energiewende stehe «das größte Klimaschutzpaket, das seit 15 Jahren
in Europa geschmiedet wurde». Seine Grünen-Kollegin Steffi Lemke aus
dem Umweltressort verteidigte den bisherigen Fahrplan. «Wir können
diese Diskussion, ist das ein Verbrenner-Aus oder ist das ein
Verbrenner-Aus-Aus, noch eine Weile führen. Aber für mich ist
entscheidend, was beschlossen wurde», sagte sie in Hannover.

Kritiker halten einen Einschluss von E-Fuels in die Klimaschutzregeln
für eine Verwässerung und einen nur halbherzigen Abschied von der
Verbrenner-Ära. Das Verwirrende: Zwar stützte die Ministerrunde das
Ziel, von 2035 an nur noch Null-Emissions-Fahrzeuge neu verkaufen zu
lassen. Im geltenden System der EU-Flottengrenzwerte müssen Autobauer
bestimmte Höchstschwellen für den CO2-Ausstoß ihrer Modellfamilien je

gefahrenen Kilometer einhalten. Auch Lemke bekräftigte die Position,
«dass Pkw-Neuwagen ab 2035 vollständig CO2-frei fahren sollen».

Allerdings geht es in der Debatte um E-Fuels nicht nur um zulässige
Emissionen am Auspuff, sondern um eine bilanzielle Gesamtsicht.
Obwohl moderne Motoren sauberer sind, ist eine isoliert betrachtete
«Nullemission» mit Ökosprit im Tank unmöglich. Auch da wird CO2 fre
i.
Aber es soll über den ganzen Nutzungszyklus nicht mehr sein, als
vorher aus Bio- und Atmosphäre gebunden wurde. Der Nettoeffekt zählt.

Lemke betonte denn auch, die EU-Kommission sei gebeten worden zu
prüfen, «ob es Mittel und Wege gibt, für diese Randbereiche noch
andere Möglichkeiten» zu schaffen. Also höchstens außerhalb des
aktuellen Grenzwertsystems oder durch dessen Reform?

Bis 2026 hat die Kommission Zeit. Offen ist aber, was sie vorschlägt
- und ob das für Wagen für den Individualverkehr gelten würde. Ihr
Vizechef Frans Timmermans zeigte sich skeptisch: «Bisher scheinen
E-Fuels keine realistische Lösung, da sie viel zu teuer sind.» Die
Hersteller hätten nun eine Chance, vom Gegenteil zu überzeugen. «Die

Kommission wird das dann bewerten und eine Schlussfolgerung ziehen.»

Befürworter argumentieren, der Synthetiksprit biete die Chance, schon
parallel zum Hochlauf von Batterieautos klassische Verbrenner weniger
klimaschädlich zu machen. «Würde man fossilen Kraftstoffen dauerhaft

fünf Prozent beimischen, hätte dies den gleichen Klimaeffekt, als
wären alle Neuwagen in einem Zulassungsjahrgang emissionsfrei», so
das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Die Chefin des
Autoverbands VDA, Hildegard Müller, bemängelt «eine Entscheidung
gegen technologieoffene Industriepolitik». ADAC, der Industrieverband
BDI, das Kfz-Gewerbe und die Importeure äußerten sich teils ähnlich.


«Power to Fuel»-Verfahren gewinnen den Ökosprit nicht aus chemischer

Veredelung von Rohöl, das Jahrmillionen im Boden lagerte und bei der
Verbrennung den Kohlenstoffgehalt der Atmosphäre dann kurzfristig
erhöht. Quasi umgekehrt bauen sie Kohlenwasserstoff-Ketten etwa aus
Wasserstoff (H2) und CO2 zusammen. Dafür braucht man jedoch H2 in
Reinform, wozu Wasser energieintensiv gespalten werden muss. Wenn -
und nur wenn - dabei Ökostrom ohne ergänzende CO2-Last zum Einsatz
kommt, kann der Kunstsprit geeignete Motoren klimaneutral antreiben.

Jedoch, so führen Skeptiker an, komme die Effizienz der E-Fuels nicht
an Pkw-Batterieantriebe heran. Über alle Energieumwandlungsstufen sei
ihr Wirkungsgrad nicht mit dem der Akkus vergleichbar. Aus ähnlichen
sowie aus Kostengründen sollten auch Brennstoffzellen nach Ansicht
vieler Ingenieure eher in Lkw, Bussen und Schiffen eingesetzt werden.

Ökonomen verweisen zudem auf Jobeffekte, wenn optimierte Motortechnik
eine Weile weiterleben könnte. «In den östlichen EU-Staaten mit ihren

älteren Flotten wird der Verbrenner länger Standard bleiben», glaubt

das IW. Unionsweit kommt ein Fünftel des CO2 aus dem Straßenverkehr.

Die finale Einigung muss mit dem EU-Parlament ausgehandelt werden, es
ist mehrheitlich für ein Komplett-Aus der Verbrenner. Die FDP mit
Finanzminister Christian Lindner und Verkehrsminister Volker Wissing
pochte darauf, dass mit E-Fuels betankte Neuwagen im Nachhinein doch
nicht auf die Verbotsliste kommen - zum Ärger der Umwelt-Community.

BUND-Geschäftsführerin Antje von Broock bezeichnete Ökosprit-Sorten
als «Scheinlösung»: «Sie sind ineffizient, nicht automatisch
klimaneutral und werden auf absehbare Zeit teuer sowie begrenzt
verfügbar bleiben.» Martin Kaiser von Greenpeace sprach von einem
«Luftschloss», das Verbraucher irreleite und den Klimaschutz
zurückwerfe. Beim ökologisch orientierten Verkehrsclub Deutschland
(VCD) schimpfte Bundeschefin Kerstin Haarmann gar: «Deutschland hat
seine Glaubwürdigkeit als Klimaschutzvorreiter in Europa verloren.»