Experten: Keine übermäßige Belastung Deutschlands durch EU-Fonds

27.07.2022 17:31

Das Bundesverfassungsgericht hat zu entscheiden, ob sich die EU zur
Bewältigung der Corona-Krise ausnahmsweise verschulden darf. Ökonomen
sind recht entspannt - warnen aber davor, dass das Schule macht.

Karlsruhe (dpa) - Experten sehen durch den Hunderte Milliarden Euro
schweren Corona-Wiederaufbaufonds der EU keine übermäßig hohen
Belastungen auf Deutschland zukommen. Am zweiten und letzten
Verhandlungstag des Bundesverfassungsgerichts bezifferten sie die
jährlichen Mehrausgaben mit ungefähr drei bis vier Milliarden Euro.
«Das wirft den Bundeshaushalt nicht um», sagte der Vertreter des
Bundesrechnungshofs, Ahmed Demir, am Mittwoch in Karlsruhe. Sorge
bereitet den Fachleuten, dass das Programm womöglich kein Einzelfall
bleibt und die Fiskalregeln aufgeweicht werden könnten.

Der Fonds soll den 27 EU-Staaten dabei helfen, nach der Pandemie
wieder auf die Beine zu kommen. Dafür macht die EU-Kommission
erstmals im großen Stil Schulden. Insgesamt geht es um ein Volumen
von 750 Milliarden Euro zu Preisen von 2018 - das sind inzwischen
knapp 807 Milliarden Euro. Einen Teil des Geldes bekommen die Länder
als Zuschüsse, die nicht zurückgezahlt werden müssen, den Rest als
Darlehen. Ende 2058 sollen die Schulden spätestens beglichen sein.

Die Kläger befürchten, dass am Ende womöglich Deutschland die
Rechnung allein begleichen muss. Außerdem habe das Programm mit dem
offiziellen Namen «Next Generation EU» keine Grundlage in den
europäischen Verträgen. Sie wollen erreichen, dass Deutschland sich
daraus zurückziehen muss oder es ganz beendet wird.

Der frühere Wirtschaftsweise Lars Feld sagte, der Fall, dass
Deutschland eines Tages allein dastehe, sei extrem unrealistisch. So
komme etwa Großbritannien, das aus der EU ausgetreten ist, seinen
Zahlungsverpflichtungen weiter nach. Der Leiter des österreichischen
Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo), Gabriel Felbermayr,
pflichtete ihm bei: Sollten einzelne Staaten vorübergehend
zahlungsunfähig werden, würde dies eher über Stundungen oder
Umschuldungen gelöst. Nach Zahlen beider Ökonomen müsste Deutschland

im äußersten Fall 20 bis 25 Milliarden Euro jährlich schultern.

Der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, mahnte, das
Problem sei, dass sich jetzt alle darauf einstellten, dass beim
nächsten Mal wieder geholfen werde. Diesem Anreiz müsse man
entgegenwirken: «Schuldenregeln sind wichtiger als je zuvor.»

Auch Demir vom Bundesrechnungshof sagte, das wahre Risiko erwachse
nicht aus dem Volumen, sondern daraus, dass hier eine Tür geöffnet
werde. Das Instrument dürfe keine Dauereinrichtung werden.

Aus Sicht der EU-Kommission ist das Paket «in jeder Hinsicht
primärrechtskonform», wie der stellvertretende Generaldirektor des
Juristischen Dienstes, Clemens Ladenburger, sagte. Zum dauerhaften
Finanzierungsprinzip könne und dürfe es aber nicht werden - denn das
würde eine Änderung der europäischen Verträge voraussetzen.

Im Eilverfahren hatten die Verfassungsrichterinnen und -richter im
April 2021 die deutsche Beteiligung erst einmal ermöglicht. Denn ein
Stopp hätte wirtschaftlich und politisch viel Schaden angerichtet. Ob
ein Verfassungsverstoß vorliegt, wird im Einzelnen jetzt im
Hauptverfahren geprüft. Sollte der Zweite Senat unter
Vizegerichtspräsidentin Doris König zu diesem Ergebnis kommen, wäre
er verpflichtet, als nächsten Schritt den Europäischen Gerichtshof
(EuGH) in Luxemburg einzuschalten. Mit dem Urteil dürfte frühestens
in einigen Monaten zu rechnen sein. (Az. 2 BvR 547/21 u.a.)