Fed dreht weiter an Zinsschraube - Ist Rezession unausweichlich? Von Julia Naue, dpa

28.07.2022 11:50

Der Zinsschritt ist beachtlich: Die US-Zentralbanker versuchen mit
aller Macht, die Inflation in den Griff zu bekommen. Doch dabei
könnten sie das Wirtschaftswachstum abwürgen. In einer ähnlichen
Zwickmühle stecken Europas Währungshüter.

Washington (dpa) - Die US-Notenbank stemmt sich mit aller Macht gegen
die galoppierende Inflation. Zum zweiten Mal in Folge erhöhte die Fed
am Mittwoch ihren Leitzins um 0,75 Prozentpunkte. Fed-Chef Jerome
Powell deutete weitere Erhöhungen in dieser Größenordnung an. In der

größten Volkswirtschaft der Welt wächst damit gleichzeitig die Angst

vor einem wirtschaftlichen Abschwung. «Ich glaube nicht, dass sich
die USA derzeit in einer Rezession befinden», beschwichtigte Powell.
Doch ein etwas langsameres Wachstum sei notwendig.

Die Fed geht damit deutlich aggressiver gegen die Inflation als die
Europäische Zentralbank (EZB) vor, die im Juli zum ersten Mal seit
elf Jahren die Zinsen erhöhte. Die Anhebung im Währungsraum der 19
Mitglieder fiel mit einem halben Prozentpunkt zwar überraschend stark
aus. Kritiker werfen der EZB aber vor, die Zinswende zu spät
eingeleitet zu haben. Die Teuerung im Euroraum zieht seit Monaten auf
Rekordniveau an.

Zugleich haben sich in Europa die Wirtschaftsaussichten infolge des
russischen Angriffs auf die Ukraine deutlich eingetrübt. Hebt die EZB
die Zinsen in diesem Umfeld zu rasch an, könnte das vor allem für
hoch verschuldete Staaten in Südeuropa zur Belastung werden. Europas
Währungshüter stehen ebenso wie die US-Notenbank damit vor einem
Balanceakt.

Mit Spannung wird nun die Schätzung des Bruttoinlandsprodukts in den
USA für das zweite Quartal am Donnerstag erwartet. Die Wirtschaft war
im Winter überraschend geschrumpft. Vieles deutet darauf hin, dass es
nun wieder zu einer rückläufigen Wirtschaftsleistung gekommen ist.
Schrumpft die Wirtschaft zwei Vierteljahre in Folge zum Vorquartal,
sprechen Ökonomen von einer «technischen Rezession». Powell mahnte,
die neuen Zahlen zum Wirtschaftswachstum mit Vorsicht zu genießen.
Eine Rezession ist seiner Auffassung nicht unausweichlich.

Auch im Weißen Haus ist man bemüht, die anstehende Schätzung nicht zu

hoch zu hängen. Es gebe viele Faktoren, die zu berücksichtigen seien,
betonte die Sprecherin von US-Präsident Joe Biden, Karine
Jean-Pierre. Sie verwies etwa auf den starken Arbeitsmarkt. Die
Arbeitslosenquote liegt in den USA auf ähnlich niedrigem Niveau wie
vor Ausbruch der Pandemie im Februar 2020. Biden brüstet sich gern
mit diesen Werten - gleichzeitig leiden seine Zustimmungswerte unter
den steigenden Verbraucherpreisen.

«Es ist nicht der Präsident, der die Inflation verursacht hat. Es
gibt auch externe Faktoren, die uns dorthin geführt haben, wo wir
heute sind», betonte Jean-Pierre etwa mit Blick auf die Energiepreise
und Probleme bei Lieferketten wegen der Corona-Lockdowns in China.
Die Teuerungsrate in den USA ist mit 9,1 Prozent so hoch wie seit
rund vier Jahrzehnten nicht mehr. Damit liegt sie weit entfernt von
jenen 2 Prozent, die sich die Fed zum Ziel gesetzt hat. Daher setzen
die Zentralbanker auf eine straffe Geldpolitik - und könnten damit
den Aufschwung abwürgen.

Der jetzige Zinsschritt ist die vierte Erhöhung in diesem Jahr. Erst
im Juni hatte die Fed den Leitzins um 0,75 Punkte angehoben. Es war
der größte Zinsschritt seit 1994. Erhöhungen des Leitzinses verteuern

Kredite und bremsen die Nachfrage. Das hilft dabei, die
Inflationsrate zu senken, schwächt aber auch das Wirtschaftswachstum.

«Wenn wir es jetzt nicht in den Griff bekommen, erhöht das nur die
Kosten, später damit fertig zu werden», mahnte Powell mit Blick auf
die Inflation. «Wir wollen keine Rezession, und wir glauben auch
nicht, dass wir eine haben müssen. Wir glauben, dass es einen Weg
gibt, die Inflation zu senken und gleichzeitig einen starken
Arbeitsmarkt aufrechtzuerhalten.»

Ganz ohne Schmerzen wird das wohl nicht funktionieren. Besonders
kleinere Unternehmen dürften unter höheren Zinsen leiden. Sie haben
einen geringeren Cashflow und sind eher auf Kredite angewiesen. An
den Börsen hingegen setzte sich eher die Erleichterung durch. Einige
Aussagen Powells machten den Anlegern trotz des hohen Zinsschrittes
Mut - etwa dass der Fed-Chef betonte, die Entwicklung von Sitzung zu
Sitzung neu zu betrachten. Einige Finanzmarktakteure werteten dies
offenbar als leichte Abschwächung der zuvor restriktiven Wortwahl.
Die nächste Entscheidung steht im September an.