) Bundesbank-Präsident Nagel: Preisstabilität entschlossen verteidigen Interview: Jörn Bender und Friederike Marx, dpa

29.07.2022 08:30

Die Bundesbank stand lange für eine harte D-Mark. Heute soll sie im
Verbund mit 18 Euro-Notenbanken die Stabilität des Euros sichern.
Dass der Kreis der Euroländer bald noch größer wird, ist aus Sicht
von Bundesbank-Präsident Nagel kein Problem für einen entschlossenen
Kurs gegen die aktuelle Rekordinflation.

Frankfurt/Main (dpa) - Die Deutsche Bundesbank ist 65 Jahre nach
ihrer Gründung mit Teuerungsraten auf Rekordniveau konfrontiert. Als
Teil des Eurosystems stemmen sich die Währungshüter gegen die hohe
Inflation. «Die immer noch sehr expansive Ausrichtung der Geldpolitik
muss zügig beendet werden, und die nun beschlossene Leitzinsanhebung
ist dafür ein erster, wichtiger Schritt», sagte Bundesbank-Präsident

Joachim Nagel der Deutschen Presse-Agentur. «Preisstabilität ist kein
Selbstläufer, sondern muss entschlossen verteidigt werden.» Der Rat
der Europäischen Zentralbank (EZB), dem Nagel angehört, hatte am 21.
Juli die erste Zinserhöhung seit elf Jahren beschlossen.

Frage: Stabiles Geld - das ist das höchste Gut der Deutschen
Bundesbank seit nunmehr 65 Jahren. Derzeit scheint dieses Ziel so
weit entfernt wie seit Jahrzehnten nicht. Was kann und muss die
Geldpolitik tun, um die Inflation zu senken?

Antwort: Die derzeit sehr hohen Inflationsraten belasten viele von
uns und machen deutlich, wie wichtig Preisstabilität ist. Die
Geldpolitik ist jetzt gefordert. An den Hauptursachen - Krieg und
Pandemie - kann sie zwar nichts ändern. Aber wir können und müssen
jetzt alles daransetzen, um zu verhindern, dass sich die aktuell so
hohe Teuerung verfestigt. Dazu braucht es eine klare Kommunikation.
Und den Worten müssen Taten folgen: Die immer noch sehr expansive
Ausrichtung der Geldpolitik muss zügig beendet werden, und die nun
beschlossene Leitzinsanhebung ist dafür ein erster, wichtiger
Schritt. Sonst laufen wir Gefahr, die Zinsen später umso abrupter und
stärker erhöhen zu müssen. Das lehrt uns auch die Geschichte der
Geldpolitik.

Frage: Die Europäische Zentralbank hat in der Tradition der
Bundesbank begonnen. Wie fest steht die europäische Geldpolitik ihrer
Einschätzung nach noch auf diesem Fundament?

Antwort: Bei der Einführung des Euro entschied man sich für ein
unabhängiges Zentralbanksystem nach dem Vorbild der Bundesbank, das
in erster Linie auf Preisstabilität verpflichtet ist. Und auf diesem
festen Fundament steht die Geldpolitik im Euroraum nach wie vor. Die
Gefahren für Preisstabilität und die Instrumente, mit denen die
Geldpolitik ihnen begegnet, können sich über die Zeit durchaus
ändern. Das liegt an neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen, aber
auch an Veränderungen des wirtschaftlichen Umfelds, etwa bei der
Globalisierung oder bei der Knappheit von Rohstoffen. Was unverändert
gilt und sich auch gerade wieder zeigt: Preisstabilität ist kein
Selbstläufer, sondern muss entschlossen verteidigt werden. Die
Bundesbank und die Kolleginnen und Kollegen, die hier mit großem
Engagement arbeiten, werden nicht nachlassen, sich für Stabilität
einzusetzen. Auf diesen Einsatz bin ich sehr stolz.

Frage: Die Bundesbank ist eine gewichtige Stimme im Chor der
europäischen Notenbanken, manch einer wünscht sich allerdings mehr
Einfluss Deutschlands in der gemeinsamen Geldpolitik. 2023 wird der
Kreis der Euroländer noch größer. Macht das eine gemeinsame
Geldpolitik für den Euroraum nicht noch komplizierter?

Antwort: Die Bundesbank ist und bleibt eine starke Stimme der
Stabilitätskultur und sie wird gut gehört. Wir bringen unsere
Expertise und unsere Überzeugungen selbstbewusst in die Debatten ein.
Im Übrigen halte ich Vielfalt von Perspektiven und Kenntnissen nicht
für eine Schwäche, sondern eine Stärke. Deshalb freue ich mich, wenn

im kommenden Jahr Kroatien in den Kreis der Euroländer eintritt. Was
uns im EZB-Rat eint, ist das gemeinsame Streben nach Preisstabilität
im Euroraum. Klar ist aber auch: Damit die Währungsunion ein Erfolg
bleibt, müssen die Mitgliedstaaten ihrer Verantwortung gerecht
werden. Das betrifft die Wirtschaftspolitik, aber auch die
Finanzpolitik.

Frage: Was sind aus Ihrer Sicht die größten Errungenschaften der
Deutschen Bundesbank in den vergangenen 65 Jahren und worin sehen Sie
die Schwerpunkte für die kommenden Jahre?

Antwort: Die größte Errungenschaft der Bundesbank ist sicherlich,
dass sie eine Kultur des stabilen Geldes geprägt und in der
Bevölkerung verankert hat. Die Bürgerinnen und Bürger haben über
viele turbulente Jahre hinweg auf die Stabilität unserer Währung
bauen können. Denken Sie nur an die Ölpreiskrisen in den 1970er
Jahren und an die Herausforderungen bei der Wiedervereinigung. Bei
der Geburt des Euro hat die Bundesbank diese Stabilitätsorientierung
sozusagen in die Wiege gelegt. Jetzt ist es unsere Aufgabe, zusammen
mit den anderen nationalen Zentralbanken und der EZB dafür zu sorgen,
dass unsere gemeinsame Währung stabil bleibt. Wir arbeiten mit aller
Kraft daran, die Inflationsrate wieder auf den Zielwert von zwei
Prozent zu senken. Und dort wollen wir sie halten, auch wenn uns
Klimawandel und Energiewende, demografischer Wandel und
Digitalisierung als Zentralbanken herausfordern. Die Menschen
vertrauen der Bundesbank, und das sollen sie weiterhin können.

Frage: Bei Ihrer Amtseinführung haben Sie sich dafür ausgesprochen,
finanzielle Risiken aus Klimawandel und Klimapolitik in der
Geldpolitik stärker in den Blick zu nehmen. Wie viel ist da aus Ihrer
Sicht bereits erreicht und was muss noch geschehen?

Antwort: Wir sind auf einem guten Weg, klimabezogene finanzielle
Risiken bei der Umsetzung der Geldpolitik besser zu berücksichtigen.
Damit leisten wir auch einen Beitrag zum Klimaschutz. Wir alle können
es uns einfach nicht leisten, die Folgen des Klimawandels
auszublenden. Der EZB-Rat hat dazu in diesem Sommer ein
Maßnahmenpaket beschlossen. Das betrifft zum Beispiel die
Unternehmensanleihen in unseren geldpolitischen Portfolios. Fällige
Anleihen werden wir künftig so ersetzen, dass Unternehmen mit einer
besseren Klimabilanz ein stärkeres Gewicht bekommen. Außerdem werden
wir unsere Kriterien für Sicherheiten anpassen und klimabezogene
Transparenzpflichten einführen. Vieles ist also angestoßen und wird
nun nach und nach umgesetzt.

Zur Person:

Der Volkswirt Joachim Nagel ist seit Januar 2022 Präsident der
Deutschen Bundesbank mit Sitz in Frankfurt. Der gebürtige Karlsruher
arbeitete bereits von 1999 an viele Jahre bei der Bundesbank. Anfang
Dezember 2010 war Nagel in den Vorstand der Notenbank gerückt und
dort zum Zeitpunkt seines Abschieds Ende April 2016 für Märkte und
Informationstechnologie zuständig. Anschließend zog es Nagel zur
staatlichen Förderbank KfW, in deren Vorstand Nagel die Verantwortung
für die Förderung von Entwicklungs- und Schwellenländern übernahm.

Vor seiner Berufung als Nachfolger von Jens Weidmann an der
Bundesbank-Spitze war SPD-Mitglied Nagel bei der Bank für
Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel als
stellvertretender Leiter der Bankabteilung tätig.