EuGH: Deutsche Regelung zum Familiennachzug ist rechtswidrig

01.08.2022 12:55

Luxemburg (dpa) - Deutschland verstößt mit seinen Regeln zum Nachzug
von Familienangehörigen von Flüchtlingen nach einem Urteil des
Europäischen Gerichtshofs gegen EU-Recht. Der Familiennachzug dürfe
nicht deshalb verwehrt werden, weil ein minderjähriges Kind während
eines laufenden Verfahrens volljährig geworden sei, urteilten die
Richter am Montag in Luxemburg (Rechtssachen C-273/20, C-355/20,
C-279/20). Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl sprach von einer
«guten Nachricht für zerrissene Familien». Die bedeute für
Deutschland eine «180-Grad-Wende».

Hintergrund sind zwei Konstellationen: Zum einen geht es um Eltern
aus Syrien, die Visa zur Familienzusammenführung mit ihrem in
Deutschland als Flüchtling anerkannten, minderjährigen Sohn
beantragten. Zum anderen geht es um den Nachzug von Kindern. Eine
minderjährige Syrerin wollte zu ihrem in Deutschland als Flüchtling
anerkannten Vater. Da die Minderjährigen im Laufe der Verfahren
volljährig wurden, lehnte deutsche Behörden die Anträge auf
Familienzusammenführung ab.

Ein Verwaltungsgericht verpflichtete die deutschen Behörden zwar
dazu, den Betroffenen Visa zur Familienzusammenführung zu erteilen.
Doch die Bundesrepublik legte Revision am Bundesverwaltungsgericht
ein, das den EuGH anrief.

Dieser ist in seinem Urteil vom Montag eindeutig und bestätigte damit
einen vorherigen Richterspruch aus Luxemburg. Ziel der maßgeblichen
EU-Regeln sei, die Familienzusammenführung zu begünstigen und
insbesondere Minderjährigen Schutz zu gewähren. Das deutsche Vorgehen
sei weder mit diesen Zielen noch mit den Anforderungen der
Grundrechte-Charta vereinbar.

Den deutschen Regeln zufolge hätten die zuständigen Behörden und
Gerichte nämlich keinen Grund, die Anträge der Eltern mit der
gebotenen Dringlichkeit zu bearbeiten. Zudem hänge der Erfolg eines
Antrags hauptsächlich von Umständen ab, die in der Hand nationaler
Behörden und Gerichte liege, insbesondere deren zügiger Bearbeitung.