Ramelow warnt vor Ausgrenzung von Sinti und Roma in Europa

02.08.2022 17:53

2015 wurde der 2. August durch das Europäische Parlament zum
Europäischen Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma erklärt. In
diesem Jahr hat er durch den Krieg in der Ukraine eine besondere
Brisanz.

Auschwitz/Erfurt (dpa) - Bundesratspräsident Bodo Ramelow (Linke) hat
Hunderttausender Sinti und Roma gedacht, die einst von den
Nationalsozialisten in Europa ermordet wurden. «Wir sind heute hier,
um dem Grauen ins Gesicht zu schauen und es dadurch sichtbar zu
machen», sagte Ramelow nach Angaben der Staatskanzlei Thüringen am
Dienstag beim europäischen Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma in
der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau in Polen. Gleichzeitig mahnte er,
Rassismus, Diskriminierung und Ausgrenzung den Boden zu entziehen.
Zusammen mit dem Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und
Roma, Romani Rose, legte er Kränze nieder.

Die Roma seien Europas größte ethnische Minderheit. «Und doch werden

Sie vielerorts wieder in einer Art unausgesprochener Apartheid an den
Rand gedrängt. Sie erleben in vielen Ländern Hass, Ausgrenzung,
Rassismus, Gewalt und das Vorenthalten von bürgerlichen und sozialen
Rechten», sagte der Bundesratspräsident. Sinti und Roma seien ein
Teil des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens. «Sie gehören zu
uns. Bitte verstecken Sie sich nicht.»

Ramelow vertrat die Meinung, dass der Umgang mit Minderheiten «ein
wichtiges Kriterium für die Aufnahme neuer Länder in die EU ist». Mit

Verweis auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine mahnte er,
dieser dürfe «nicht die Kulisse sein oder gar als Vorwand dienen für

eine Vertreibung der Roma aus der Ukraine».

Rose sagte laut Redemanuskript mit Blick auf die Ukraine, dort
offenbare sich «unser Versagen gegenüber dem Vermächtnis der Opfer
von Auschwitz». Dabei habe er nicht nur den Krieg im Blick, «sondern
ich habe auch die oftmals menschenunwürdigen Lebensumstände der
schätzungsweise 400 000 ukrainischen Roma vor Augen». Ihre Männer
verteidigten das Land, viele Frauen und Kinder müssten fliehen.
«Trotz alledem werden Roma in der Ukraine weiterhin ausgegrenzt und
diskriminiert.» Rose sprach von Antiziganismus in der Ukraine.

Auch in Ländern, die Flüchtlinge aufnähmen, schlage den Roma
Ablehnung entgegen - mancherorts auch in Deutschland. Aber es gebe
auch positive Entwicklungen: Sinti und Roma seien als vierte
Minderheit in Deutschland anerkannt, sagte Rose nach der
Gedenkveranstaltung.

EU-Gleichstellungskommissarin Helena Dalli bekräftigte ihren Appell
an die EU-Mitgliedsstaaten, geflüchtete Roma aus der Ukraine
aufzunehmen. Die EU-Kommission werde noch in diesem Jahr einen
Bericht vorlegen, wie die einzelnen Staaten gegen Antiziganismus
vorgehen, kündigte Dalli der Agentur PAP zufolge an. Er sei froh,
dass die EU so klar agiere, sagte Rose.

Mit dem Gedenktag wird an 4300 Sinti und Roma erinnert, die im
Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau am 2. August
1944 von der SS ermordet wurden. «Es waren 4300 Mitmenschen. 4300 von
einer halben Million Sinti und Roma, die während der NS-Diktatur
ermordet wurden», sagte Ramelow. «Genau wie Juden und andere
Minderheiten wurden Sinti und Roma bis in den Tod verfolgt, weil eine
rassistische Ideologie ihnen das Recht zu leben absprach.»

Thüringens Ministerpräsident ist in diesem Jahr Präsident des
Bundesrates und vertrat Deutschland bei der Gedenkveranstaltung in
Auschwitz, dem einstigen Konzentrations- und Vernichtungslager der
Nationalsozialisten im besetzten Polen.

Sinti und Roma seien nach 1945 erneut kriminalisiert worden, ihrer
Bevölkerungsgruppe sei damit lange der Opferstatus abgesprochen
worden, sagte Ramelow. Er plädierte erneut dafür, diese «zweite
Verfolgung» nach 1945 aufzuarbeiten. Ramelow: «Wir müssen diese
unheimliche Stille aufbrechen.»