Kindergeld-Regelung für Nicht-EU-Ausländer war verfassungswidrig

03.08.2022 16:32

Für viele Familien ist das Kindergeld eine wichtige Stütze.
Bestimmten Müttern und Vätern aus dem Nicht-EU-Ausland wurde die
Leistung über viele Jahre verweigert - zu Unrecht, wie sich jetzt
herausstellt. Profitieren dürften davon aber nur noch wenige.

Karlsruhe (dpa) - Etliche Familien aus Nicht-EU-Ländern haben in
Deutschland jahrelang zu Unrecht kein Kindergeld bekommen. Das
Bundesverfassungsgericht erklärte im Nachhinein eine Vorschrift für
verfassungswidrig und nichtig, die von 2006 bis 2020 in Kraft war.
Das wurde am Mittwoch in Karlsruhe mitgeteilt. (Az. 2 BvL 9/14 u.a.)

Danach stand Menschen, die aus völkerrechtlichen, humanitären oder
politischen Gründen nach Deutschland gekommen sind, das Kindergeld
erst nach mindestens dreijährigem Aufenthalt zu. Außerdem hing der
Anspruch von einer Integration in den Arbeitsmarkt ab - und dieser
zweite Punkt war nach der Entscheidung der Richterinnen und Richter
nicht gerechtfertigt. Sie hatten 2012 schon eine wortgleiche Regelung
zum Erziehungs- und späteren Elterngeld gekippt. Zum 1. März 2020
änderte der Gesetzgeber dann die Vorschrift beim Kindergeld.

Größere finanzielle Auswirkungen dürfte das Ganze nicht haben.
«Bescheide, die im Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Entscheidung
bereits bestandskräftig sind, bleiben von der Nichtigerklärung
unberührt», heißt es im Beschluss ganz am Ende. Es bleibe dem
Gesetzgeber aber «unbenommen, eine andere Regelung zu treffen».

Damit profitieren zunächst einmal nur betroffene Mütter und Väter,
die gegen die Ablehnung ihres Kindergeld-Antrags geklagt hatten und
deren Verfahren noch laufen. Mehrere Fälle sind etwa beim
Niedersächsischen Finanzgericht anhängig. Die Richter dort hatten
2014 die Überprüfung in Karlsruhe angestoßen, weil sie den gesamten
zweiten Teil des Paragrafen im Einkommensteuergesetz (§ 62) für
verfassungswidrig hielten. Unter die Lupe genommen wurde nun aber nur
eine Untervorschrift, der Rest war für die Fälle nicht maßgeblich.

Familienministerin Lisa Paus (Grüne) rechnet «nicht mit großen
Veränderungen in der Praxis der Kindergeld-Auszahlung», auch nicht
mit Missbrauch oder stark steigenden Ausgaben, wie sie der «Neuen
Osnabrücker Zeitung» sagte. «Nach wie vor wird es nur an
Nicht-EU-Ausländer ausgezahlt, die sich voraussichtlich dauerhaft in
Deutschland aufhalten.» Die Bundesregierung werde das Urteil
sorgfältig prüfen.

Das Kindergeld soll die grundlegende Versorgung von der Geburt bis
mindestens zum 18. Geburtstag sichern. Derzeit gibt es monatlich für
das erste und zweite Kind 219 Euro, für das dritte Kind 225 Euro und
für jedes weitere Kind 250 Euro. Für Gutverdiener sind die alternativ
vorgesehenen Freibeträge bei der Steuer oft die günstigere Variante.

Bis Ende 1989 bekamen alle Familien in Deutschland Kindergeld.
Seither gab es mehrere Anpassungen. Heute steht die Leistung allen
Deutschen und allen EU-Ausländern zu, die hier leben und arbeiten.
Für Menschen aus bestimmten weiteren Staaten gelten Sonderregelungen.

In dem Karlsruher Verfahren ging es um die Gruppe der sogenannten
nicht freizügigkeitsberechtigten Ausländer und hier wiederum nur um
die Menschen mit humanitären Aufenthaltstiteln. Nach der Neuregelung
bekommen sie nun generell Kindergeld, wenn sie seit mindestens 15
Monaten in Deutschland sind. In der alten Fassung wurde zusätzlich
zur Aufenthaltsdauer vorausgesetzt, dass sie entweder erwerbstätig
oder in Elternzeit sind oder Arbeitslosengeld I beziehen.

Diese Ungleichbehandlung ist laut Verfassungsgericht nicht
gerechtfertigt. Es sei zwar legitim, nur den Eltern Kindergeld zu
gewähren, die voraussichtlich dauerhaft bleiben. Bei den Menschen,
die aus humanitären Gründen da sind, lasse sich das aber nicht an der
Erwerbstätigkeit ablesen. In den meisten Fällen komme es vor allem
auf die Situation im Herkunftsstaat an, nicht auf die eigenen Pläne.

Einige der Eltern, deren Klagen in Niedersachsen anhängig sind,
hatten vorübergehend das Kindergeld verloren, weil sie einige Monate
auf Arbeitslosengeld II zurückgefallen waren, ehe sie einen neuen Job
fanden. Das zeige, dass die Regelung der tatsächlichen Situation der
Betroffenen nicht gerecht geworden sei, schreiben die Richter.

Erst am Montag hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) beanstandet,
dass Zuzügler aus anderen EU-Staaten in Deutschland in den ersten
drei Monaten kein Kindergeld bekommen, wenn sie keine inländischen
Einkünfte haben. Damit hatte das Karlsruher Verfahren nichts zu tun.