Immer mehr Mittelmeer-Flüchtlinge: Seenotretter-Hilferuf an Politik

05.08.2022 10:38

Rom (dpa) - Wegen immer mehr Migranten, die im Mittelmeer in Seenot
geraten, fordern drei Hilfsorganisationen ein staatliches Such- und
Rettungsprogramm. Der deutsche Verein Sea-Watch sowie die
internationalen Organisationen Ärzte ohne Grenzen und SOS
Méditerranée verlangten von den EU-Staaten am Mittwoch den «Einsatz
einer angemessenen, staatlich geführten und proaktiven Flotte für die
Seenotrettung».

In den vergangenen Wochen hatten die Helfer mit ihren Schiffen
Hunderte Migranten an Bord geholt, die von Afrika aus nach Europa
übersetzen wollten. Italien registrierte in diesem Jahr bislang mehr
als 42 000 Menschen - das sind deutlich mehr als im
Vergleichszeitraum 2021, als 30 000 gezählt worden waren. Das
Mittelmeerland hat immer größere Probleme, die Leute vernünftig zu
registrieren und aufzunehmen. Das für rund 350 Menschen konzipierte
Flüchtlingslager auf der Insel Lampedusa etwa ist extrem überfüllt.

Die Helfer beklagen, dass die EU-Staaten keine koordinierten Einsätze
im Mittelmeer durchführen, um Menschen zu retten. Stattdessen müssten
zivile Organisationen einspringen. Auf der zentralen Mittelmeerroute
wurden nach UN-Angaben allein in diesem Jahr bislang 907 Migranten
als tot oder vermisst gemeldet.

Eine staatliche Seenotrettung gibt es in der EU schon seit Jahren
nicht mehr, zum Teil auch aufgrund der Sorge, damit weitere Menschen
zur Überfahrt in Richtung EU zu ermutigen. Stattdessen haben sich im
Juni 21 Staaten auf einen Solidaritätsmechanismus geeinigt, der
südliche Länder wie Italien entlasten soll. Die teilnehmenden Staaten
könnten den Mittelmeerländern entweder Schutzsuchende abnehmen oder
ihnen auf andere Weise helfen - etwa mit Geld oder Sachleistungen.
Nach Angaben der EU-Kommission vom Mittwoch wurden bislang allerdings
noch keine Migranten umgesiedelt. Mögliche Kandidaten würden derzeit
ermittelt, sagte eine Sprecherin. Bislang hätten sich 13 Länder
bereiterklärt, mehr als 8000 Menschen aufzunehmen.

An diesem Donnerstag will Matteo Salvini von der rechten Lega das
Camp in Lampedusa besuchen und dort Wahlkampf betreiben. Er hofft auf
einen Sieg des Mitte-Rechts-Blocks bei den Wahlen am 25. September
und kündigte bereits an, dann wesentlich härter gegen Migranten
vorzugehen.

Die Hilfsorganisationen sind derweil ständig im Einsatz. Das Schiff
«Geo Barents» von Ärzte ohne Grenzen wartete am Mittwoch mit 659
Geretteten - darunter mehr als 150 Kinder und Babys - weiter auf die
Zuteilung eines Hafens. «Dieses unnötige, tagelange Warten zermürbt
die Geretteten», berichtete Mattea Weihe, Sprecherin von Sea-Watch.
«Sie haben das Mittelmeer überlebt, doch anstatt sich in Sicherheit
zu wissen, müssen sie tagelang vor den verschlossenen Toren Europas
darauf warten, dass ihre Menschenrechte respektiert werden.»