Wenn der Bass in Dover bleibt - Wie der Brexit das Touren erschwert Von Larissa Schwedes, dpa

04.08.2022 17:20

Von A wie Adele bis Q wie Queen: Seit jeher ist das Vereinigte
Königreich Talentschmiede für Weltstars des Rock und Pop. Doch auch
hier hat der Brexit Spuren hinterlassen.

London (dpa) - Alle Welt kann mitsingen, wenn Oasis oder die Beatles
angestimmt werden. Auch die jüngere Generation der britischen
Musikszene hat große Namen hervorgebracht wie Adele, Ed Sheeran oder
Stormzy. Nicht einmal der Brexit hat diesen unvergleichlichen
Exportschlager ausbremsen können. Zumindest nicht auf den ersten
Blick.

Doch erst in diesen Monaten, dem ersten großen Festival-Sommer seit
Ausbruch der Corona-Pandemie, in dem Konzertveranstalter wieder
weitgehend unbeschränkt ihre Tickets verkaufen können, zeigt sich in
vollem Ausmaß, was der britische Austritt aus der Europäischen Union
für die Branche bedeutet.

«Der Herzschlag und die Zukunft unserer lebendigen Branche droht, in
Dover stecken zu bleiben, ohne dies selbst verschuldet zu haben»,
sagte Pop-Legende Elton John kürzlich in einer Befragung. Denn was
jahrzehntelang Alltag für britische Künstler war, nämlich das Touren

vor dem riesigen ausländischen Publikum in Europa, ist nun keine
Selbstverständlichkeit mehr.

So musste die Londoner Rockband White Lies im April in letzter Minute
einen Gig in Paris absagen, weil ihr Equipment wegen bürokratischer
Brexit-Hürden es nicht rechtzeitig über die Grenze schaffte. «Es
bricht uns das Herz, in dieser wundervollen Stadt zu sein, aber nicht
auftreten zu können wegen einer solchen Banalität», schrieben die
Musiker auf Twitter. Auch andere Bands hätten kurz vorher die
gleichen Probleme gehabt.

In diesem Sommer, wo sich wegen Brexit-Passkontrollen am Hafen von
Dover die Autos von Urlaubern sowie Lastwagen stauen, ist das Risiko,
als Nachwuchstalent dort stecken zu bleiben, sogar wörtlich zu
nehmen. Doch auch bevor eine Band überhaupt in ihren Tourbus steigt,
sind Hürden zu überwinden. So sind manche Fahrzeuge aus
Großbritannien, die zum Transport von Equipment benutzt werden, nicht
mehr auf Touren in Europa zugelassen. Oft sind auch
Arbeitsgenehmigungen in EU-Ländern ein Problem: Musiker dürfen in
vielen Fällen nur noch eine begrenzte Zahl an Tagen im EU-Ausland
arbeiten, Sondergenehmigungen kosten Aufwand und eine Menge Geld.

Während eines halben Jahres nur noch an 90 Tagen in Europa arbeiten
zu dürfen, sei für viele eine enorme Einschränkung, erzählt der
englische Konzertpianist Julius Drake im Gespräch mit der Deutschen
Presse-Agentur. Der Sektor sei sehr international, und für viele
Opernsänger und andere klassische Musiker sei es Alltag, von einem
Land ins andere zu reisen und aufzutreten. «Wir müssen nun die Tage
zählen und viele Angebote ausschlagen.»

«Es ist eine Lose-lose-Situation», also eine Konstellation, die für
alle nur Nachteile bietet, sagt Jamie Njoku-Goodwin, der für den
Verband UK Music die Interessen der Branche vertritt, im
dpa-Gespräch. Eigentlich habe niemand ein Interesse daran, es
Musikern möglichst schwer zu machen, auf Tour zu gehen. Im Gegenteil:
Sowohl die EU als auch Großbritannien profitierten beide davon, wenn
möglichst viel Austausch vorhanden sei.

Auch in Großbritannien seien die Visa-Regelungen - anders als bei
anderen Branchen - für Musiker eigentlich kein kontroverses Thema.
«Es gibt keinen Wahlkreis im Vereinigten Königreich, der sagt: Wir
wollen es Musikern möglichst schwer machen, auf Tour zu gehen.»
Trotzdem gibt es - abgesehen von einigen bilateralen Regelungen -
keine Einigung zwischen London und Brüssel.

Immerhin: Im Herzen der britischen Demokratie ist das Thema
angekommen. Mehr als 100 Vertreter des britischen Ober- und
Unterhauses haben sich damit befasst und in einem Bericht namens «Let
The Music Move» (Lasst die Musik sich bewegen) Probleme und
Lösungsvorschläge zusammengefasst, um die britische Regierung zum
Handeln aufzufordern. «Wir Briten sind gut in Sachen Musik. Ich meine
wirklich gut. Wirklich, wirklich gut», schreibt der
Labour-Abgeordnete Kevin Brennan darin - und lenkt auch das Augenmerk
auf die britische Musikbranche als mächtigen Wirtschaftsfaktor. «Um
es einfach zu sagen: Wir verdienen Geld mit unserer Musik.»

Die Parlamentarier schlagen unter anderem finanzielle Unterstützung
vor, damit Musiker die Zusatzkosten stemmen können. Am zentralsten
ist jedoch diese Botschaft: Großbritannien solle mit der EU
zusammenarbeiten, um Kosten und Hürden möglichst weitgehend
abzuschaffen.

Es ist nicht das einzige Brett, das London und Brüssel derzeit zu
bohren haben. Insbesondere im Ringen um Post-Brexit-Regeln für die
britische Provinz Nordirland, die weiter den Regeln des
EU-Binnenmarktes folgt, hat sich ein Streit mit enormem
Konfliktpotenzial entwickelt. In vielen anderen Bereichen liegt die
Zusammenarbeit auf Eis. «Wenn man viele schwierige Themen auf dem
Tisch hat, sollte man mit dem einfachsten anfangen», meint
Njoku-Goodwin. Grundsätzlich bestehe auf beiden Seiten Offenheit.

Von der britischen Regierung hieß es, man werde sich weiter bei
EU-Ländern, die ihre Regeln noch nicht gelockert hätten, für bessere

Visa-Bedingungen und Arbeitsgenehmigungen einsetzen. Im Wahlkampf um
die Nachfolge des scheidenden britischen Premiers Boris Johnson
spielte das Thema - wie Brexit-Folgen generell - bislang keine Rolle.