EU-Plan zum Gassparen gilt - Deutschland diskutiert über Vorbereitung

09.08.2022 18:52

Notfallpläne, Einsparungen und Umlage: Die Vorbereitungen für einen
möglichen Stopp russischer Gaslieferungen schreiten voran. Die
Auswirkungen auf Wirtschaft und Menschen sind schon zu spüren.

Brüssel/Berlin (dpa) - Angesichts steigender Preise und gedrosselter
Lieferungen bereiten sich Europa und Deutschland auf eine mögliche
Gasmangellage vor. Dazu trat am Dienstag der europäische
Gas-Notfallplan in Kraft. Er sieht vor, dass alle EU-Länder ihren
Gasverbrauch von Anfang August bis März nächsten Jahres freiwillig um
15 Prozent senken, verglichen mit dem Durchschnittsverbrauch der
vergangenen fünf Jahre in diesem Zeitraum. Insgesamt müssen nach
Zahlen der EU-Kommission 45 Milliarden Kubikmeter Gas gespart werden.
Deutschland müsste etwa 10 Milliarden Kubikmeter Gas weniger
verbrauchen, um das 15-Prozent-Ziel zu erreichen.

Seit Juni hat Russland seine Gaslieferungen an die EU drastisch
reduziert. Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie,
Siegfried Russwurm, rechnet wegen der Drosselung mit immensen
Mehrkosten. Lange Zeit lag der Gaspreis bei weniger als 20 Euro pro
Megawattstunde. Aktuell müssen Unternehmen für Ersatzmengen für
russisches Gas rund zehn Mal so viel zahlen. Auch die Menschen
hielten ihr Geld wegen höherer Strom- und Gaspreise zusammen, sagte
Russwurm. Der Industriepräsident sieht das Wirtschaftswachstum in
Deutschland stärker in Gefahr als noch im Juni erwartet.

Die IG Metall warnte mit Blick auf die kältere Jahreszeit zudem vor
ganz konkreten Folgen möglicher Gaseinsparungen für Arbeitnehmer.
Diese müssten vor gesundheitlichen Risiken bei zu kalten Temperaturen
am Arbeitsplatz geschützt werden, sagte Vorstandsmitglied Hans-Jürgen
Urban. «Die Absenkung der Raumtemperatur unter die Mindestgrenze von
20 Grad bei Büroarbeit würde die Infektions- und Erkältungsgefahren
in den Betrieben erhöhen, was zu weiteren Ausfalltagen und erhöhten
Kosten für die Unternehmen führen würde.»

Über die richtige Vorbereitung auf eine mögliche Gasknappheit wird in
Deutschland noch diskutiert. Mehrere Bundesländer pochen auf mehr
Mitsprache bei der Erstellung von Notfallplänen. Angesichts der
erheblichen wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen könne diese
Entscheidung nicht allein der Bundesnetzagentur überlassen werden,
hatte Hamburgs Erster Bürgermeister, Peter Tschentscher (SPD), zu
Wochenbeginn betont.

Bundesnetzagentur-Chef Klaus Müller widersprach der Kritik. Die
Länder seien von Anfang an am Krisenteam Gas beteiligt gewesen,
Anregungen und Kritik nehme die Netzagentur gerne auf, sagte Müller
am Dienstag im ZDF-Morgenmagazin. Transparenz sei wichtig, allerdings
müsse in Krisensituationen schnell gehandelt werden. Womöglich habe
man nur 24 Stunden Zeit, um bestimmte Entscheidung vorzubereiten, und
noch weniger, sie zu treffen. Wichtigste Priorität sei es, eine
Gasmangellage zu verhindern.

Die FDP-Bundestagsfraktion sieht dabei Bundeskanzler Olaf Scholz
(SPD) in der Verantwortung. «Bundeskanzler Scholz sollte sich nun
persönlich und auf höchster Ebene für LNG-Lieferungen aus dem Nahen
Osten einsetzen, denn die Verunsicherung der Bevölkerung und der
Industrie wächst aufgrund der drohenden Verschärfung des Gasmangels
weiter», sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Carina
Konrad der Deutschen Presse-Agentur. Zuvor war bekannt geworden, dass
ein möglicher Deal von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zu
Gaslieferungen aus Katar nicht zustande gekommen war.

Die Debatte um die Gasumlage geht indes ebenfalls weiter. Die
entsprechende Verordnung für die Umlage trat am Dienstag in Kraft.
Sie wird ab Herbst zu Preissteigerungen für Gaskunden führen und
ermöglicht es den Gasversorgern, Mehrkosten an die Verbraucher
weiterzugeben. Nach Ansicht von SPD-Wirtschaftspolitiker Bernd
Westphal wäre es «wesentlich gerechter, die Gasumlage aus dem
Bundeshaushalt zu finanzieren, statt komplizierte
Entlastungsmechanismen zu organisieren».

Die Grünen im Bundestag sehen das anders und lehnen eine Finanzierung
der Gasumlage aus Steuermitteln ab. «Die Umlage aus Haushaltsmitteln
zu finanzieren, wäre der falsche Weg, denn damit würde für die
Verbraucher ein Anreiz zum Energiesparen wegfallen», sagte der
Grünen-Abgeordnete Sebastian Schäfer der «Welt».