Diskussion um Einreisebeschränkung für Russen - Scholz gegen Verbot

11.08.2022 16:59

Der ukrainische Präsident fordert einen Reisebann für alle Russen.
Estland geht mit neuen Regeln voran und hofft auf weitere
Unterstützer. Doch Kanzler Scholz drückt auf die Bremse.

Tallinn/Berlin/Brüssel (dpa) - Estland verschärft vor dem Hintergrund

des russischen Kriegs gegen die Ukraine die Visa-Regelungen für
Menschen aus Russland und beschränkt deren Einreise. Die Regierung in
Tallinn beschloss am Donnerstag, dass russische Staatsbürger vom 18.
August an nicht mehr mit einem von Estland ausgestellten
Schengen-Visum einreisen dürfen. Zugleich sind einige Ausnahmen
vorgesehen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach sich zugleich
gegen ein Komplett-Verbot von Touristenvisa für Russen aus, wie es
der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gefordert hatte.

«Wir sehen, dass die Zahl der russischen Bürger, die durch Estland
reisen oder aus Russland nach Estland kommen, massiv zugenommen hat»,
sagte der estnische Außenminister Urmas Reinsalu. Die Möglichkeit,
massenhaft Estland zu besuchen oder über das Land nach Europa zu
gelangen, entspreche nicht dem Zweck der verhängten Sanktionen.

Estland hatte als eine Reaktion auf Russlands Angriffskrieg die
Vergabe von Visa und Aufenthaltsgenehmigungen an Russen ausgesetzt.
Mit einem gültigen Visum war es aber weiterhin möglich, per Bus oder
Auto über die estnische Grenze in den Schengenraum einzureisen. Dies
soll künftig nicht mehr möglich sein. Bestimmte Ausnahmen gelten
jedoch auch weiterhin.

Reinsalu kündigte an, dass Estland den EU-Staaten noch im August
einen Vorschlag unterbreiten werde, die Vergabe von Schengen-Visa für
russische Bürger auszusetzen. Dafür hatte sich zuletzt auch Finnland
stark gemacht. Auch Lettland forderte am Donnerstag andere
europäische Länder ebenfalls dazu auf, keine Einreise- und
Touristenvisa mehr an Russen zu vergeben.

Kanzler Scholz erteilte einem grundsätzlichen Verbot von
Touristenvisa am Donnerstag jedoch eine Absage. «Das ist Putins
Krieg, und deshalb tue ich mich mit diesem Gedanken sehr schwer»,
sagte er in Berlin. Scholz verwies auf die «sehr weitreichenden
Sanktionen» gegen Russland wegen des Kriegs gegen die Ukraine. Es
würde nach Einschätzung von Scholz die Wirksamkeit der Sanktionen
abschwächen, «wenn es sich gegen alle richtete, auch gegen
Unschuldige».

Eine Sprecherin der EU-Kommission betonte am Donnerstag zudem, dass
ein grundsätzliches Verbot von Touristenvisa nach geltendem Recht gar
nicht möglich sei. Jeder Antrag müsse einzeln geprüft werden, sagte
sie. Die EU-Kommission habe im Mai jedoch Leitlinien an die
Mitgliedstaaten geschickt. Danach können Anträge nach einzelner
Prüfung abgelehnt werden. Grund könne etwa sein, dass eine Person
eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit oder
die internationalen Beziehungen sei. Demzufolge kann auch Estland nun
nicht rundheraus alle bereits an Russen erteilten Visa zurückziehen.
Stattdessen muss vielmehr jeder Einzelfall geprüft werden.

Die Sprecherin der EU-Kommission wies zudem darauf hin, dass die
EU-Staaten nicht gegen internationales Recht verstoßen dürften.
Einige Personen hätten etwa aus humanitären Gründen Anspruch auf ein

Visum oder deshalb, weil sie Familienangehörige, Journalisten oder
Dissidenten seien.