Booster nun auch gegen Omikron - aber für welche Gruppen? Von Gisela Gross, dpa

01.09.2022 16:05

Seit vielen Monaten sind sie angekündigt: Covid-19-Impfstoffe, die
auch der Omikron-Variante Rechnung tragen. Für erste derartige
Präparate hat die Arzneimittelagentur EMA nun den Weg freigemacht.
Wie gut sind sie und wer soll sie nutzen?

Berlin (dpa) - Beim Grippeschutz ist es Routine: Jedes Jahr werden
Impfstoffe angepasst, weil sich das Virus ständig verändert. Mehr als
zweieinhalb Jahre nach Pandemiebeginn ist es auch bei Covid-19
soweit: Erste Impfstoffe, die nicht mehr nur auf den sogenannten
Wildtyp von Sars-CoV-2 abzielen, dürften in Kürze vielerorts
erhältlich sein. Die europäische Arzneimittelagentur EMA gab am
Donnerstag grünes Licht für zwei an die Omikron-Variante angepasste
Corona-Impfstoffe. Fragen und Antworten zu den Impfstoffen:

Um welche Impfstoffe geht es?

Der Ausschuss für Humanarzneimittel beschäftigte sich mit der
Bewertung von zwei sogenannten bivalenten mRNA-Impfstoffen der
Unternehmen Biontech/Pfizer und Moderna. Bivalent bedeutet, dass zwei
Komponenten berücksichtigt sind: Die Präparate sind sowohl auf den
ursprünglichen Typ von Sars-CoV-2 als auch auf die Omikron-Sublinie
BA.1 angepasst. Experten gehen davon aus, dass diese Vakzine auch
einen Vorteil gegen den in Deutschland derzeit dominierenden Subtyp
BA.5 bringen. Konkret prüfte der Ausschuss laut EMA Anforderungen an
Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit und ein positives
Nutzen-Risiko-Verhältnis.

Wie gut sind die neuen Impfstoffe?

Es lägen klinische Daten vor, das Präparat sei an mehreren Hundert
Probanden getestet worden, sagt der Generalsekretär der Deutschen
Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl. Die Antikörperreaktionen
seien mit einer Kontrollgruppe verglichen worden, die ein viertes Mal
den bisherigen Impfstoff bekommen hatte. «Gesehen hat man bei den
Menschen mit dem angepassten Impfstoff deutlich mehr Antikörper gegen
die Omikron-Variante - und zwar bei Jungen wie Alten wie bei
Genesenen», sagte Watzl.

Prozentangaben zur Effektivität, wie es sie für die ersten
Covid-19-Vakzine gegeben hatte, wurden nun nicht erhoben. Daten zum
tatsächlichen Schutz vor symptomatischer Infektion, schwerer
Erkrankung und Tod sind erst aus der Anwendung zu erwarten.
Angestrebt wird ein besserer Schutz vor Omikron - und hierbei vor
allem vor der Erkrankung, denn ein Schutz vor der Infektion werde
nach der Impfung wieder nur vorübergehend bestehen, sagte Watzl.

Welche Gruppen brauchen den angepassten Booster?

Diese Antwort müsste von der zuständigen Ständigen Impfkommission
(Stiko) kommen - eine Empfehlung zu den neuen Präparaten gibt es
bisher aber noch nicht. Bei Hausärzten und Fachleuten, die nun viele
Anfragen bekommen, sorgt das für Kritik. Nach Plan soll es in
Deutschland schließlich zügig mit dem Impfen losgehen - schon in den
beiden Wochen ab 5. September sollen rund 14 Millionen Dosen des
BA.1-Präparats von Biontech/Pfizer und Moderna kommen, wie aus einem
Schreiben von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hervorging,
das zu Wochenbeginn bekannt wurde.

Ist absehbar, wer vom neuen Booster profitiert?

Der Immunologe Watzl hält eine Empfehlung für einen zweiten Booster
mit den neuen Präparaten nur für bestimmte Gruppen für wahrscheinlich

- etwa Menschen ab 60 Jahren, mit unterdrücktem Immunsystem oder mit
Vorerkrankungen. «Ich wäre sehr überrascht, wenn die Stiko sagen
würde, dass sich alle Erwachsenen noch mal impfen lassen sollen.» Er
wolle der Stiko nicht vorgreifen - aber allen voran profitierten
Risikopatienten. «Eine schwere Erkrankung ist damit weniger
wahrscheinlich.» Wer also über 60 sei und bisher mit der vierten
Impfung gewartet habe, für den sei jetzt die Gelegenheit.

Was ist beim Impfzeitpunkt zu beachten?

Das Timing ist laut Fachleuten sehr wichtig. Watzl sagte, wer der
bestehenden Stiko-Empfehlung zu einer Viertimpfung bereits gefolgt
sei oder sich in den vergangenen Monaten mit Corona angesteckt habe,
solle ab dem Zeitpunkt mindestens sechs Monate bis zur nächsten
Impfung verstreichen lassen. «Das heißt, wer sich jetzt erst vor zwei
Monaten geimpft hat, der sollte auch ganz klar noch mal vier Monate
warten.» Ein weiterer Booster nach zu kurzer Zeit bringe keinen
Zusatznutzen. Bei manchen Risikopatienten könnte es Watzl zufolge
aber ausnahmsweise Sinn machen, früher den angepassten Impfstoff zu
spritzen - dies müsse individuell mit dem Arzt besprochen werden.

Was ist mit gesunden Menschen unter 60?

Für sie gelte, dass der zusätzliche Booster in der Regel nicht
gebraucht werde, sagte Watzl. Er sprach sich dennoch dafür aus,
Jüngeren den BA.1-Booster nicht generell zu verwehren: Da die
Impfstoffe, wenn auch nur vorübergehend, wieder mehr Schutz vor der
Infektion schafften, könne eine Impfung sinnvoll sein, wenn sich
jemand etwa wegen Risikopatienten in der Familie mehr Fremdschutz
wünscht.

BA.1 - was ist das?

Nach den Corona-Varianten Alpha und Delta kam Ende 2021 mit Omikron
eine Mutante mit stark verändertem Erbgut auf. Sie kann die erste
Abwehrlinie von Geimpften und Genesenen besser umgehen. Die
Omikron-Wellen wurden von unterschiedlichen Omikron-Sublinien
verursacht: zunächst von BA.1, später von BA.2, in den Sommermonaten
vor allem von BA.5. Nach Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) kommt
BA.1 seit längerer Zeit in Stichproben hierzulande nicht mehr vor.

Lohnt es sich, auf einen aktuelleren Impfstoff zu warten?

Es ist ein Vakzin in Aussicht, das an die derzeit zirkulierenden
Sublinien BA.4/BA.5 angepasst ist. Die US-Arzneimittelbehörde
FDA erteilte solchen Präparaten von Biontech/Pfizer und Moderna
am Mittwochabend eine Notfallzulassung. Auch die EMA prüft hierzu im
sogenannten Rolling-Review-Verfahren einen Antrag, wie es auf Anfrage
hieß - noch warte man aber auf weitere Daten.

Immunologe Watzl rät Impfwilligen klar vom Warten ab. «Es gibt zu
diesem Impfstoffkandidaten bisher keine klinischen Daten.» Man könne
nur über den Nutzen spekulieren - auch angesichts der nicht
vorhersehbaren Entwicklung der vorherrschenden Varianten in den
kommenden Monaten. Auch Modalitäten der Zulassung in der EU und deren
Zeitpunkt seien offen. Experten geben auch zu bedenken, dass der
große Sprung in der Virusentwicklung zwischen dem Wildtyp und BA.1
lag, zwischen BA.1 und BA.4/BA.5 lägen viel weniger Mutationen.