Staat greift nach Rosneft Deutschland - Eine Lösung für Schwedt? Von Verena Schmitt-Roschmann und Martina Herzog, dpa

16.09.2022 16:23

Das EU-Ölembargo trifft vor allem Ostdeutschland und dort
insbesondere die PCK-Raffinerie Schwedt. Jetzt legt die
Bundesregierung ein Lösungskonzept vor.

Schwedt/Berlin (dpa) - Es ist eine weitreichende Entscheidung - für
die PCK-Raffinerie im brandenburgischen Schwedt, aber auch für
Millionen Verbraucher an der Zapfsäule, beim Fliegen oder beim
Heizen: Die Bundesregierung hat die deutschen Töchter des russischen
Staatskonzerns Rosneft unter staatliche Kontrolle gestellt. Damit hat
die Bundesnetzagentur nun auch das Sagen bei PCK.

Bisher werden dort aus zwölf Millionen Tonnen Rohöl jährlich Benzin,

Diesel, Heizöl, Kerosin und andere Produkte produziert. PCK versorgt
Berlin und den Nordosten. Indirekt berührt das auch den übrigen
deutschen Markt: Läuft die Produktion in Schwedt nicht rund, kann das
Auswirkungen auf Versorgung und Preise haben.

Nun gaben Bundeskanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert
Habeck Entwarnung: Mit der Entscheidung der Bundesregierung sei der
Standort gesichert. Die 1200 Arbeitsplätze würden erhalten, und die
Versorgungssicherheit sei gewährleistet. Scholz sprach von einer
«guten Botschaft» und von einer «Entscheidung zum Schutz unseres
Landes». Ist nun alles geklärt?

1. Die Ausgangslage: Russischer Betreiber verarbeitet russisches Öl

PCK - zu DDR-Zeiten VEB Petrolchemisches Kombinat Schwedt, daher die
Abkürzung - wird seit Jahrzehnten über die Druschba-Pipeline mit
russischem Öl beliefert. Es gehörte bisher zu gut 54 Prozent den
Rosneft-Töchtern. Dieser wollte ursprünglich vom Mitbesitzer Shell
auch dessen Anteile von 37,5 Prozent kaufen, was aber gestoppt wurde.
Als Russland Ende Februar in der Ukraine einmarschierte und die EU
ein Ölembargo gegen Moskau beschloss, stand die Bundesregierung vor
zwei Problemen: PCK war abhängig von russischem Öl. Und das Sagen
hatte ein russischer Betreiber. Dieser hatte nach Habecks Worten kein
Interesse an einer Abkehr von russischem Öl.

2. Habecks Lösungsskizze

Habeck fuhr Anfang Mai nach Schwedt und skizzierte eine Lösung:
Lieferungen nicht-russischen Öls über andere Routen, Finanzhilfen des
Bundes und eine mögliche Treuhandstruktur. Habecks Staatssekretär
Michael Kellner formulierte später eine Standortgarantie: PCK werde
auch 2023 ohne Öl aus der Druschba-Pipeline weiterarbeiten. Offen
blieb jedoch, ob sie voll ausgelastet sein würde.

Denn zunächst kann dem Wirtschaftsministerium zufolge nur 50 bis 60
Prozent des Ölbedarfs über den Hafen Rostock gedeckt werden. Lägen
Teile der Raffinerie brach, wären nicht nur Jobs in Gefahr. Es würde
wohl kurzfristig regional Treibstoff fehlen. Monatelang wurde daran
gearbeitet, die Lücke zu stopfen. Habeck peilte dafür Tankeröl aus
dem polnischen Hafen Danzig an. Das Problem: Polen hat zu
Kriegszeiten kein Interesse an der Belieferung des russischen
Staatskonzerns Rosneft.

3. Der Staat steigt ein

Habeck sprach schon früh von einer Treuhandlösung. Genau das passiert
jetzt mit der Treuhandverwaltung für sechs Monate. Die gesetzlichen
Grundlagen wurden Mitte Mai im Energiesicherungsgesetz gelegt. Zur
Sicherung der Versorgung sieht dieses «die Möglichkeit einer
Treuhandverwaltung über Unternehmen der kritischen Infrastruktur und
als Ultima Ratio auch die Möglichkeit einer Enteignung» vor.

Der Eingriff des Staates bei PCK war für die Bundesregierung trotzdem
heikel. Lange befürchtete man, Russland werde als Vergeltung die
Gaslieferungen über die Pipeline Nord Stream 1 kappen. Das tat Moskau
dann ohnehin. Dann sorgte man sich, dass Russland auch die
Öllieferungen sofort einstellen würde, ohne auf das Embargo zu
warten. Diese Gefahr besteht weiter, wie Scholz am Freitag einräumte.
«Wir wissen nicht, was jetzt passiert.»

4. Was bedeutet die Ankündigung der Bundesregierung?

Sollte Russland von heute auf morgen kein Öl mehr nach Schwedt
liefern, könnte kurzfristig die Auslastung zurückgehen, bis Ersatz
kommt. Scholz und Habeck gaben sich aber alle Mühe zu beschwichtigen.
Man habe sich schon lange darauf vorbereitet, dass Russland aus
Gründen, die mit dem Ukraine-Krieg zusammenhingen, nicht mehr
liefere, sagte der Kanzler. «Wir haben ja genau diesen Fall
vorbereitet.»

Dafür werde die Kapazität der vorhandenen Pipeline von Rostock nach
Schwedt erweitert. Zügig soll sie auf eine jährliche Kapazität von
bis zu neun Millionen Tonnen pro Jahr ausgebaut werden. Das würde 75
Prozent Auslastung der Raffinerie sichern. Allerdings wird es eine
Weile dauern, bis die dafür veranschlagten 400 Millionen Euro vom
Bund verbaut sind.

Zweiter Lösungsansatz sind die Gespräche mit Polen über Lieferungen
via Danzig. Diese seien weit fortgeschritten, sagte Habeck. Feste
Zusagen aus Warschau gibt es wohl noch nicht, ließ der Minister
durchblicken. Das sei aber auch nicht zu erwarten gewesen, solange
Rosneft bei PCK noch das Sagen gehabt habe. Auch mit Kasachstan will
die Bundesregierung reden, um von dort über Druschba weiteres Öl zu
sichern.

5. Regierung macht Beschäftigten Mut

Die Antwort des Kanzlers auf die Frage, wie stark PCK ab Januar
ausgelastet sein werde, blieb recht vage: «Eigentlich glauben wir,
dass wir, egal was passiert, eine gute Chance haben, dass es eine
ausreichende Versorgung mit Öl gibt, so dass die Raffinerie arbeiten
kann.» Sollte es doch zeitweise anders kommen, soll eine
Beschäftigungsgarantie greifen.

«Keiner muss sich Sorgen machen, dass er seine Hauskredite, seine
Rechnungen zu Hause oder anderes mehr nicht mehr bezahlen kann»,
beruhigte der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke. Den
Beschäftigten in Schwedt dürfte der Einstieg des Staats und die
Umstellung auf neue Bezugsquellen allerdings so oder so einiges
abverlangen. Mittelfristig steht ein Umbruch an: Schwedt soll die
Abkehr vom Öl schaffen und «grünen» Wasserstoff produzieren.

6. Verbraucher sollen weiter tanken und heizen können

Habeck betonte mehrfach, dass die Versorgung mit Raffinerieprodukten
gewährleistet sei. Auch der Düsseldorfer Ökonom und Energieexperte
Jens Südekum sieht dafür gute Chancen. Das von der Regierung
präsentierte Konzept sei wenig überraschend - deshalb sei es
vermutlich gut vorbereitet worden, sagte Südekum der Deutschen
Presse-Agentur. Sollte es mit den Lieferungen über Polen klappen,
dürfte PCK wohl weitgehend ausgelastet arbeiten. Für eine sichere und
bezahlbare Versorgung hilft aus Südekums Sicht auch die Abkühlung der
Konjunktur. Der Preis auch für westliche Ölsorten sei zuletzt
deutlich gesunken.