EZB-Vize: Inflation verschwindet nicht von selbst

16.09.2022 10:06

Lange haben die Euro-Währungshüter gezögert, nun stemmen sie sich mit

wachsender Entschlossenheit gegen die hohe Inflation. Der
Vize-Präsident der Europäischen Zentralbank macht klar: Von
Rezessionssorgen lässt sich die Notenbank nicht bremsen.

Frankfurt/Main (dpa) - EZB-Vize Luis de Guindos hält weitere
Zinserhöhungen im Kampf gegen die Rekordteuerung im Euroraum für
unabdingbar. «Die Verlangsamung der Wirtschaft wird die Inflation
nicht von alleine «erledigen»», sagte der Vizepräsident der
Europäischen Zentralbank (EZB) in einem am Freitag veröffentlichten
Interview der portugiesischen Wochenzeitung «Expresso». «Wir müssen

die Normalisierung der Geldpolitik fortsetzen. Das ist etwas, das
jeder verstehen muss.»

Die EZB hatte nach langem Zögern im Juli die Wende hin zu höheren
Zinsen eingeleitet. Nach einer weiteren Zinsanhebung im September
liegt der Leitzins im Euroraum nun bei 1,25 Prozent. Die Notenbank
hat weitere Zinserhöhungen in Aussicht gestellt, will sich aber nicht
auf die genauen Schritte festlegen. «Wir wollen flexibel sein und
Spielraum für unsere Entscheidungen haben», bekräftigte de Guindos.

Oberstes Ziel der EZB für den Euroraum ist ein mittelfristig stabiles
Preisniveau bei einer jährlichen Teuerungsrate von zwei Prozent.
Steigende Energie- und Lebensmittelpreise haben die Inflation im
Währungsraum im August auf das Rekordhoch von 9,1 Prozent getrieben.

Unter den Währungshütern gibt es allerdings auch Sorgen, mit einer zu
schnellen Normalisierung der zuvor jahrelang ultralockeren
Geldpolitik die Konjunktur zu bremsen, die schon mit Lieferengpässen
und den Folgen des Ukraine-Krieges zu schaffen hat. Die Sorge vor
einem Absturz der Wirtschaft in eine Rezession ist groß.

«Die Kräfte, die hinter der Konjunkturabschwächung stehen, sind
denen, die die Inflation in die Höhe treiben, sehr ähnlich. Wir haben
einen Angebotsschock, der das Wachstum verringert und gleichzeitig
die Inflation erhöht», erklärte de Guindos. «Die Verlangsamung der

Wirtschaft wird den Nachfragedruck verringern, was die Inflation
senken wird. Gleichzeitig müssen wir aber auch geldpolitisch handeln,
um die Inflationserwartungen zu verankern und Zweitrundeneffekte zu
vermeiden.» Unter Zweitrundeneffekten versteht man eine
Lohn-Preis-Spirale: Steigen Löhne als Reaktion auf hohe Inflation zu
stark, könnte das die Preise weiter nach oben treiben.