Rechtsruck in Italien: Wie gefährlich sind Meloni und Co. für Europa? Von Manuel Schwarz und Michel Winde, dpa

16.09.2022 12:38

Der Nationalistin Giorgia Meloni winkt in Italien ein großer Sieg bei
den Parlamentswahlen. Mit ihrer extrem rechten Partei will sie
Italien «wieder aufrichten». An Brüssel schickte sie die Warnung, der

«Spaß» sei vorbei.

Rom (dpa) - Italien steht vor einem heftigen Rechtsruck - und Europa
blickt nervös auf die anstehenden Parlamentswahlen im Mittelmeerland.
«Wir sind besorgt», sagt die frühere EU-Kommissarin und erfahrene
italienische Abgeordnete Emma Bonino und berichtet von Unbehagen auch
in anderen Hauptstädten. Der Grund dafür hat drei Namen: Giorgia
Meloni, Matteo Salvini, Silvio Berlusconi. Die drei Parteichefs des
Mitte-Rechts-Blocks haben gute Chancen, bei den Wahlen am Sonntag
nächster Woche (25. September) in Rom einen Erdrutschsieg
einzufahren.

Allen voran Meloni von den extrem rechten Fratelli d'Italia («Brüder
Italiens»), die in Umfragen deutlich führt und beste Chancen auf das
Amt der Ministerpräsidentin hat, beunruhigt viele. Die Römerin hält
nicht viel von der EU, schimpft regelmäßig gegen die «Bürokraten au
s
Brüssel» und orientiert sich in ihren Vorstellungen an Ländern wie
Ungarn und dem mit ihr befreundeten Ministerpräsidenten Viktor Orban.

Dass Melonis Koalitionspartner - Ex-Ministerpräsident Berlusconi und
Rechtspopulist Salvini - ihrerseits jahrelang engste Beziehungen zu
Russland und Wladimir Putin pflegten, verstärkt die Unruhe in Europa.
Denn dieses ringt im Ukraine-Krieg um Einigkeit an der Seite Kiews.

Salvini zweifelt öffentlich die Wirksamkeit der Sanktionen gegen
Russland an und macht die EU so mitverantwortlich für die dramatisch
gestiegenen Energiekosten. Seine Gesinnung hinsichtlich Moskau
verheimlichte der Lega-Chef in den vergangenen Jahren nicht. Einst
streifte er auf dem Roten Platz und sogar im Europaparlament ein
Putin-Fan-Shirt über. 2015 sagte Salvini, er würde zwei Mattarellas
gegen einen halben Putin eintauschen - Sergio Mattarella ist Italiens
Staatspräsident.

In dieser Woche richtete sich der Fokus sofort auf Salvini und die
Lega, als in den USA ein Geheimdienstbericht öffentlich wurde, wonach
Russland jahrelang Parteien im Ausland bezahlte. Salvini wiegelte
prompt ab, er habe «nie nach Geldern gefragt oder welche erhalten,
keine Rubel, Euro, Dinare oder Dollar». Auch Berlusconi sagte, er sei
«natürlich» nicht in den Skandal involviert - 2010 hatte er seinen
guten Freund Putin noch als «Geschenk des Himmels» bezeichnet.

Wie gefährlich können Meloni und ihre Rechts-Allianz Europa wirklich
werden? «Ich glaube nicht, dass Giorgia Meloni eine Gefahr für die
Stabilität der EU darstellt», meint der Politikwissenschaftler Andrea
Ungari von der Universität Luiss in Rom. «Italien hat ja seinen
festen Platz in Europa. Außerdem ist es etwas anderes, wenn man aus
der Opposition spricht, oder wenn man sich mit all den Staats- und
Regierungschefs der EU an einen Tisch setzt.»

Tatsächlich bemüht sich Meloni seit dem Sturz der Regierung von Mario
Draghi im Juli, gemäßigt, verlässlich und gar staatstragend zu
wirken. Sie verschickte Videobotschaften, in denen sie auf Englisch,
Spanisch und Französisch erklärte, dass Sorgen im Ausland unbegründet

seien und dass Italien auch unter ihr ein starker Partner bleibe.

Kritiker meinen, Meloni habe Kreide gefressen. Und tatsächlich wurde
schon in dieser Woche der Ton rauer. Auf einer Wahlkundgebung in
Mailand rief sie den Anhängern zu, in Europa sei der «Spaß» jetzt
vorbei. Mit ihr an der Spitze werde Italien wieder zuerst die eigenen
Interessen verfolgen und dann erst europäisch denken.

Verwunderlich war die Ansage nicht. Meloni will Italien
«risollevare», also wieder aufrichten, wie auf den Wahlplakaten von
Fratelli d'Italia steht. Erinnerungen an Donald Trumps Slogan «Make
America Great Again» werden wach. Im ersten Satz des gemeinsamen
Wahlprogramms kündigt Mitte-Rechts eine Außenpolitik an, «in deren
Mittelpunkt das nationale Interesse steht und die Verteidigung der
Heimat». Meloni will, dass EU-Recht wieder unter nationale Gesetze
rückt. Sie wünscht sich starke Nationalstaaten statt einer Union.

Das ist ganz nach dem Geschmack von Ungarns Regierungschef Orban -
dessen Land nach einem Bericht des Europaparlaments nicht mehr als
vollwertige Demokratie anzusehen ist - und der nationalkonservativen
PiS-Partei aus Polen. Nachdem die rechtspopulistischen
Schwedendemokraten in dem skandinavischen EU-Land an die Macht kommen
dürften, hätte Italien die vierte rechte Regierung der Union.

«Das wird Europa schwach machen», befürchtet die Europaabgeordnete
Alexandra Geese von den Grünen. Diese Länder wollten ein Europa der
Nationen und eine gemeinsame, starke Europapolitik verhindern, sagt
Geese der Deutschen Presse-Agentur. Sie hat mehr als 20 Jahre in
Italien gelebt und findet die Entwicklung «sehr besorgniserregend».

Meloni will die «atlantische» Verbindung zu den USA stärken - Europ
a
ist für sie nachrangig. «Ja zur Souveränität der Völker! Nein z
u den
Bürokraten in Brüssel!», rief sie im Juni bei einer Veranstaltung der

rechtsextremen spanischen Partei Vox ins Mikrofon.

In Italien fürchten nun viele, dass unter Meloni Reformen gestoppt
werden könnten, die Voraussetzungen sind zur kompletten Auszahlung
der 192 Milliarden Euro aus dem EU-Wiederaufbaufonds. Das Geld wird
dringend gebraucht - aber Meloni will mit Brüssel nachverhandeln.
Dass sich die neue Regierung aber Milliardenhilfen entgehen lässt,
davon gehen selbst die Kritiker der 45-Jährigen nicht aus.